News RSS-Feed

13.10.2021 Fit for 55: Sind geplante Maßnahmen für den Gebäudesektor effektiv?

Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden und als Etappenziel bis 2030 ihren Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 verringern. Wie die EU-Ziele konkret erreicht werden können, hat die Europäische Kommission am 14. Juli 2021 im ersten Teil ihres „Fit for 55“-Maßnahmenkatalogs dargelegt, der nun mit dem Europäischen Parlament und den 27 EU-Mitgliedsstaaten verhandelt werden muss. Die „Fit for 55“-Richtlinien ergänzen bestehende Gesetze und umfassen weitere Maßnahmen. Ein Aktionsfeld ist der Gebäudesektor, der in der EU für 40 Prozent des Energieverbrauchs und für mehr als ein Drittel (36 Prozent) der CO2-Emissionen verantwortlich ist.

Emissionshandel im Gebäudesektor: Einnahmen sollten Investitionen in erneuerbare Energie fördern

Bis die „Fit for 55“-Maßnahmen final verabschiedet werden, können noch Monate oder sogar Jahre vergehen. In diesem Fall würde für die Umsetzung zur Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent bis 2030 nur wenig Zeit bleiben. Ob die geplanten Maßnahmen für den Gebäudesektor baldige Effekte zeigen würden, muss in Frage gestellt werden.

So sieht die EU-Kommission für den Gebäudesektor die Einführung eines separaten Emissionshandels („Emission Trading System“) ab 2026 vor. Die Emissionszertifikate müssten dann von den vorgelagerten Brennstofflieferanten erworben werden. Die Anzahl der Zertifikate soll dabei begrenzt und mit den Jahren reduziert werden.

Die EU-weite Einbeziehung des Gebäudesektors in die Klimaschutzmaßnahmen ist sinnvoll, da dessen Energieverbrauch signifikant hoch ist. Jedoch würden die begrenzt verfügbaren Emissionsrechte sich in höheren Preisen für fossile Energieträger niederschlagen. Diese würden wiederum vermutlich an die Mieter von Gebäuden weitergereicht werden. Diese Entwicklung sehen wir aktuell schon beim national geltenden CO2-Preis, der bisher allein von den Mietern von Wohnimmobilien getragen wird und dadurch die Mietnebenkosten in die Höhe treibt. Letztlich wirken sich höhere Mietnebenkosten auch negativ auf den Vermieter bzw. die Leerstandsquote aus, da Mieter in der Regel nur ein begrenztes Budget zur Zahlung ihrer monatlichen Miete zur Verfügung stehen haben.

Durch die CO2-Preis-Belastung der Mieter könnte das Ziel verfehlt werden, einen direkten Anreiz für den Bau klimaneutraler Heiz- und Kühlungssysteme zu schaffen. Denn letztlich entscheiden die Vermieter darüber. Um die sozialen Folgen des Emissionshandels im Gebäudesektor abzufedern, plant die EU einen Klima-Sozialfonds, in den 30 Prozent der Einnahmen aus dem Emissionshandel fließen sollen. Um einen Umlenkungseffekt hin zu klimaneutraler Energieerzeugung im Gebäudesektor zu erreichen, sollten die übrigen Einnahmen aus dem Emissionshandel genutzt werden, um den Einbau von Heiz- und Kühlsystemen auf Basis von erneuerbarer Energie für Immobilienbesitzer finanziell zu fördern.

Standardisierung der Gebäudeenergieeffizienz und Steigerung der Sanierungsquote wichtige Stellschrauben

Einen weiteren Bereich, den die EU-Kommission im Rahmen von „Fit for 55“ konkret im Gebäudewesen adressiert, ist die Energieeffizienz. Dazu soll die bestehende Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie („Energy Performance of Buildings Directive“) überarbeitet und bis Ende dieses Jahres – im Rahmen der Vorstellung des zweiten Teils der „Fit for 55“-Vorschläge – präsentiert werden. Es sind unter anderem verbindliche Mindestnormen für die Gesamtenergieeffizienz bestehender Gebäude vorgesehen. Diese sollen die bereits im vergangenen Jahr von der EU-Kommission veröffentlichte Strategie zur „Europäischen Renovierungswelle“ vorantreiben. Die Renovierungsquote in den EU-Mitgliedsstaaten beträgt durchschnittlich 1 Prozent pro Jahr. Diese Quote soll in den kommenden 10 Jahren mindestens verdoppelt werden.

Die Standardisierung der Gebäudeenergieeffizienz und die Sanierung von Bestandsimmobilien sind wichtige Stellschrauben, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Jedoch ist es fraglich, ob die Vorgaben so schnell umgesetzt werden können, um den Bestand klimafit zu machen. Schon heute ist es in Deutschland schwierig, aufgrund des Fachkräftemangels Handwerkspersonal für einfache Reparaturen zu engagieren. In vielen EU-Ländern leidet die Bevölkerung zudem unter Energiearmut, d.h. sie kann sich nicht mal das Heizen der eigenen Wohnung leisten. Um also die Sanierung des Bestands zu fördern, muss die EU ausreichend finanzielle Mittel in die Hand nehmen, um Hauseigentümer bei energetischen Sanierungen finanziell zu unterstützen und Mieter vor einer indirekten Beteiligung zu bewahren.

Alle Maßnahmen der EU und der nationalen Regierungen unterschätzen jedoch den immensen Investitionsbedarf. Eine aktuelle Studie der Deutschen Bank fasst zusammen, dass in den letzten Jahren in Deutschland pro Jahr rund 50 Milliarden in energetische Sanierungen von Gebäuden investiert worden sind. Trotz der Höhe der Investitionen ist der CO2- Ausstoß in der gleichen Zeit relativ konstant geblieben. Würde man die avisierte Reduktion gemäß der EU-Ziele erreichen wollen, wäre eine Vervielfältigung der aktuellen Investitionen pro Jahr durch die Immobilienwirtschaft erforderlich. Hier stellt sich auch die Frage nach der Verteilung der Zuständigkeiten.

Auswirkungen auf Wohnimmobiliensektor

Zusammenfassend kann man sagen, dass auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen EU-Wirtschaft die Verpflichtung des Gebäudesektors richtig und wichtig ist. Jedoch sollte insbesondere beim Wohnen darauf geachtet werden, dass die Wohnnebenkosten durch den CO2-Emissionshandel nicht in die Höhe getrieben und sozialschwächere Mieter unverhältnismäßig belastet werden. Viel mehr sollte ein Umlenkungseffekt forciert werden, der Vermieter zum Einbau klimaneutraler Heizsysteme in den Immobilien animiert. Auch die energetische Sanierung des Gebäudebestandes ist sinnvoll. Hier sollte dafür gesorgt werden, dass Wohnimmobilieneigentümer in der EU ohne große bürokratische Hürden finanzielle Mittel abrufen können, um ihre Wohnhäuser fit für eine klimaneutrale Zukunft zu machen.

(Autor: Adalbert Pokorski, Gründer und Managing Director bei Greenwater Capital GmbH)





Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!