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04.10.2022 Wohnmarkt: Tauziehen zwischen Zinsanstieg und Wohnungsknappheit

Die Situation am deutschen Wohnungsmarkt stellt sich laut Savills derzeit sehr ambivalent dar. Am Investmentmarkt haben die geänderten finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer großen Zurückhaltung unter den Investoren geführt. Dagegen ist an den Mietwohnungsmärkten das Angebot noch knapper geworden, weshalb sich die langfristige Ertragsperspektive aus Investorensicht weiter verbessert hat.

Das Transaktionsvolumen (Transaktionen ab 50 Wohneinheiten) lag im 3. Quartal bei lediglich 1,96 Mrd. Euro. Es war damit das umsatzschwächste Quartal seit dem 1. Quartal 2016. Die Zahl der Transaktionen war im letzten Quartal so niedrig wie zuletzt im Jahr 2010. Im bisherigen Jahresverlauf summiert sich das Transaktionsvolumen auf etwa 9,6 Mrd. Euro – ca. 54 % weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Karsten Nemecek, Managing Director Corporate Finance – Valuation bei Savills Germany, konstatiert: „Die Volatilität an den Finanzmärkten führt auch am Wohninvestmentmarkt zu großer Verunsicherung unter den Investoren. Vor allem die gestiegenen Fremdkapitalkosten und Anleiherenditen führen dazu, dass sich Investoren neu positionieren und ihre Investitionsstrategien überarbeiten. Solange dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, agieren viele Akteure sehr zurückhaltend. Für Investoren mit dem Fokus auf langfristig stetige Einnahmeströme haben sich derweil die Perspektiven am Wohnungsmarkt sogar eher verbessert, so dass wir perspektivisch wieder mit einer Belebung des Marktes rechnen.“

Preisanpassungsprozess im Gange

Die geringe Transaktionsaktivität spiegelt die aktuell oftmals langwierigen Verhandlungen zwischen Eigentümern und Investoren wider. Aufgrund der eingeleiteten Zinswende müssen laut Savills die meisten Marktteilnehmenden ihre Investitionen neu kalkulieren. Nemecek erläutert: „Binnen neun Monaten sind der zehnjährige SWAP-Satz um etwa 270 Basispunkte und die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen um rund 230 Basispunkte gestiegen. Aufgrund dieser Konstellation hat sich der Leverage-Effekt binnen kürzester Zeit ins Negative gedreht. Gleichzeitig liegt der risikolose Zins nun auf demselben Niveau wie vor einigen Monaten noch die Spitzenrenditen für Wohnimmobilien. Diese Entwicklungen führen dazu, dass die Renditen für Mehrfamilienhäuser steigen müssen.“ Einige Investoren, darunter international tätige Private-Equity-Gesellschaften, gehen laut Savills davon aus, dass sich die bisherigen Anstiege der SWAP- und Anleihezinsen komplett bei den Wohnrenditen umsetzen. Sollte dies der Fall sein, wären mittelfristig Spitzenrenditen von rund 4,5 % zu erwarten.

Allerdings gibt es gute Argumente, die gegen solch drastische Renditeanstiege sprechen, wie Nemecek erläutert: „Neben den sehr guten Fundamentaldaten spricht auch die Institutionalisierung des Marktes seit dem Ende der Finanzkrise dafür, dass der Anstieg der Renditen nicht so stark ausfällt, wie von manchen Akteuren erwartet. Viele Eigentümer sind dementsprechend aktuell nicht bereit zu deutlich niedrigeren Preisen zu verkaufen, weshalb nur wenige Verkäufe erfolgreich abgeschlossen werden.“ Für die kommenden Monate erwartet Savills, dass in den Kaufpreisverhandlungen die Folgen des Zinsanstiegs und die positiven langfristigen Fundamentaldaten gegeneinander ins Feld geführt und jeweils eingepreist werden. Der Prozess der Preisanpassung dürfte sich daher noch länger hinziehen.

Angebotsknappheit an den Mietwohnungsmärkten verschärft sich

Die Fundamentaldaten sprechen laut Savills nach wie vor für ein langfristiges Engagement in deutsche Wohnimmobilien, denn Mietwohnungen werden auch in den nächsten Jahren ein knappes und gefragtes Gut bleiben. Matti Schenk, Associate Research Germany bei Savills sagt: „Die Kombination aus steigenden Bau- und Finanzierungskosten, der Streichung von Fördermitteln im Neubau sowie einer geringeren Zahlungsbereitschaft der Investoren wird zu weniger Wohnungsfertigstellungen führen. Es zeichnet sich ab, dass das Ziel der Bundesregierung von 400.000 fertiggestellten Wohnungen in den nächsten Jahren deutlich verfehlt wird.“ Während an den Mietwohnungsmärkten also angebotsseitig kaum mit Entlastung zu rechnen ist, dürfte die Nachfrage höher ausfallen als noch zu Beginn des Jahres erwartet.

So geht beispielsweise die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie davon aus, dass im Jahr 2030 fast 86 Mio. Menschen in Deutschland leben werden. Schenk berichtet: „Zu den nach oben korrigierten Bevölkerungsprognosen gesellt sich eine kurzfristige Nachfrageerhöhung. Da der Erwerb von Wohneigentum durch die gestiegenen Zinsen für immer mehr Haushalte unerschwinglich geworden ist, werden diese Haushalte stattdessen am Mietmarkt aktiv. Für die Eigentümer von Mietwohnungen bedeutet dies, dass in sehr vielen Standorten auf absehbare Zeit praktisch kein Leerstandsrisiko vorhanden ist und zumindest mit stabilen Mieteinnahmen gerechnet werden kann.“

In der aktuellen Hochinflationsphase dürften die erheblich steigenden Nebenkosten laut Savills dazu führen, dass die Zahlungsfähigkeit vieler Haushalte an ihre Grenzen kommt, so dass Steigerungen der Kaltmieten schwieriger durchsetzbar sind. Weil die steigenden Nebenkosten Haushalte mit geringeren Einkommen überproportional stark belasten, könnten Eigentümer von Objekten mit einfacher Qualität hiervon besonders betroffen sein.

Wohn-AGs wechseln auf Verkäuferseite – Chance für neue Investoren

In den kommenden Monaten dürfte das Tauziehen zwischen größerer Wohnungsknappheit auf der einen und steigenden Zinsen auf der anderen Seite nach Meinung von Savills anhalten. Daraus ergeben sich in den kommenden Monaten viele Chancen für Investoren. Schenk berichtet: „Im vierten Quartal ist mit deutlich mehr Angebot im Portfoliosegment zu rechnen. Gleichzeitig stehen die Wohnimmobilien-AGs, die in den letzten fünf Jahren für 41 % des Ankaufsvolumens verantwortlich waren, mittlerweile auf der Verkäuferseite. Durch den De-Facto-Wegfall dieser Käufergruppe erhöhen sich die Chancen für alle anderen Investoren an größere Wohnungsbestände zu gelangen.“ Nemecek führt aus: „Mit Blick auf die langfristig positiven Perspektiven an den Nutzermärkten bietet sich für Investoren die Möglichkeit, bei geringerem Wettbewerb und zu höheren Renditen in einen Markt mit kaum vorhandenem Leerstandsrisiko, langfristigen Mietsteigerungspotenzialen und langfristig hoher Stabilität der Kapitalwerte einzusteigen.“

Die große Produktpipeline könnte dazu führen, dass der Markt schneller als andere Nutzungssegmente wieder an Schwung gewinnen könnte. Das Transaktionsvolumen könnte laut der Prognose von Savills bis zum Ende des laufenden Jahres auf bis zu 15 Mrd. Euro steigen. Damit würde in diesem Jahr in etwa so viel Volumen umgesetzt wie zum Höhepunkt vor der Finanzkrise. Dies unterstreicht den Stellenwert, den Wohnimmobilien seitdem in den Portfolios von institutionellen Investoren eingenommen haben.





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