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27.10.2022 Fachkräftemangel und Wohnungsmangel gemeinsam anpacken

Laut dem European Talent Intelligence Manual 2022 ist Berlin die viertbeliebteste Stadt der Welt, um dort zu arbeiten. Die Befragten heben Vorteile wie ein wettbewerbsfähiges Gehalt, ein flexibles Arbeitsumfeld und eine abwechslungsreiche Tätigkeit hervor. Nicht nur in Berlin reden alle vom Fachkräftemangel. Doch nur wenige bringen das Thema in Verbindung mit dem Wohnungsmangel. Dabei gehören beide Themen seit jeher zusammen. Mancher kennt noch die großen industriellen Werkssiedlungen, wie etwa die Siemensstadt in Berlin-Spandau. Sie entstand bereits in der Gründerzeit am Ende des 19. Jahrhunderts. Schon damals zeigte sich: Wohnraum und Arbeitsstätte entwickeln eine perfekte Symbiose.

Heute würde man in einer identischen Situation von einer Maßnahme des „Employer Branding“ sprechen: Mit „Corporate Housing“ erhöhen Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern vergünstigten und zur Arbeitsstätte gut gelegenen Wohnraum zur Verfügung stellen, ihre Attraktivität. Die Bindungswirkung von bezahlbaren Mietwohnungen als Benefit des Arbeitgebers ist nicht zu unterschätzen, berichtet etwa Arnt von Bodelschwingh, der eine Studie für den GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. erstellt hat: „Aus Sicht der Unternehmen stellt Mitarbeiterwohnen ein attraktives Instrument der Personalpolitik dar. Bedarfsgerechte, nachhaltige Wohnangebote können die Arbeitgebermarke und die Attraktivität des Arbeitgebers enorm steigern.“

Job + Wohnung = attraktiver Arbeitgeber

Warum ist Wohnraum für Mitarbeiter gerade heute so wichtig? Der Fachkräftemangel sorgt für den „War for Talents“ und viele Unternehmen werben Spezialisten aus dem In- und Ausland an. Die meisten Mittelständler können aber nicht gleich eine Werkssiedlung bauen, wie es einst Siemens, die Deutsche Bahn oder Großkonzerne wie VW gemacht haben. Der Fachkräftemangel stellt für deutsche Unternehmen jeder Größe das vielleicht dringlichste Problem überhaupt dar. Es ist schwer genug, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Sie dann auch noch zum Umzug zu bewegen, erscheint fast unmöglich. Zumal es meist um Ballungszentren geht, wo das Mietniveau besonders hoch ist. Für viele Young Professionals – auch aus dem Ausland – sind deutsche Großstädte durchaus attraktiv. Arbeitgeber, die hier nicht nur mit gut bezahlten Jobs, sondern auch erschwinglichem Wohnraum punkten können, haben ein echtes Ass im Ärmel.

Die Wohnungskrise wird vorerst bleiben

Die Verfügbarkeit von günstigen Wohnungen ist eine der großen Krisen unserer Zeit. Kein Wunder, dass die neue Bundesregierung mit großen Zielen und noch größeren Versprechen angetreten ist. Die Bauministerin Klara Geywitz plant, den schnelleren Bau von bezahlbaren und klimaneutralen Wohnungen stärker zu fördern. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen, sollen es sein. Gleichzeitig sollen Mieter entlastet werden und Mieten in den nächsten Jahren bezahlbar bleiben. Leider deutet derzeit vieles darauf hin, dass die aktuelle Wohnungskrise noch lange nicht vorbei ist.

Ein ganzes Bündel von Ursachen führt dazu, dass der Wohnungsneubau ins Stocken gerät: Erst kam die Corona-Pandemie mit ihrem weltweiten Konjunkturdämpfer. Dann, als insbesondere der Bausektor wieder voll durchstarten wollte, führten unterbrochene Lieferketten, Preiserhöhungen, Rohstoffknappheit zum Stocken bei der Fertigstellung von Wohnungen. Im Frühjahr 2022 kam dann noch der Krieg in der Ukraine hinzu, der abgesehen vom menschlichen Leid auch für steigende Energiepreise, eine weitere Rohstoffknappheit sowie eine schnell steigende Inflation führte. Die Folgen für die Wohnungswirtschaft sind längst erkennbar: „Mit rund 293.400 fertiggestellten neuen Wohnungen sind wir im vergangenen Jahr deutlich hinter der Erwartung und der Prognose geblieben. Wir müssen leider davon ausgehen, dass es in diesem Jahr auch nicht mehr werden“, kommentiert Felix Pakleppa, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, die Situation.

Internationaler Mietspiegel: 16,5 Prozent Preisanstieg im Jahresvergleich

Wo Knappheit herrscht, steigen die Preise. Ein Blick auf die aktuellen Mietpreise bestätigt dies. Der internationale Mietspiegel von HousingAnywhere für das dritte Quartal 2022 zeigt, dass die Mietpreise in Europa im vergangenen Jahr um außergewöhnliche 16,5 Prozent gestiegen sind. Obwohl die Preisanstiege im Vergleich zum Vorquartal auf den ersten Blick gering erscheinen (1 bis 6 Prozent), zeigt eine genauere Untersuchung – je nach Unterkunftsart und Stadt – große Unterschiede. Während die Mietpreise deutschlandweit im letzten Quartal nur moderat gestiegen sind, kam es zu überdurchschnittlichen Steigerungen der Mieten für Wohnungen und Studio-Apartments in Amsterdam (18,3 Prozent und 17,5 Prozent), Lissabon (10 Prozent und 35,8 Prozent) und Athen (14,3 Prozent und 15,8 Prozent).

Die Preisentwicklung für Einzelzimmer zeigt jedoch ein anderes Bild. Während im zweiten Quartal etwa die Hälfte der betrachteten Städte Preissenkungen verzeichnen, sind die Preise für Einzelzimmer im dritten Quartal in fast allen Städten stark gestiegen – in Utrecht und Mailand um mehr als 10 Prozent, in Berlin sogar um 30 Prozent. Der relative Anstieg der Preise für Einzelzimmer in ganz Europa könnte darauf hindeuten, dass Einzelzimmer sich wieder einer steigenden Nachfrage erfreuen, nachdem die Preise während und unmittelbar nach der Pandemie kontinuierlich gesunken sind. Außerdem könnte der Mangel an bezahlbaren Wohnungen und Studio-Apartments die Menschen dazu veranlassen, auf Einzelzimmer auszuweichen.

Die Wohnungsknappheit ein gesamteuropäisches Problem

Dass Berlin auch im europäischen Vergleich der „place to be“ ist, zeigt sich an einem geradezu atemberaubenden Preisauftrieb im Jahresvergleich: Die Preise für Studio-Apartments gingen hier um 40 Prozent nach oben, mehr sind die die Preise in analysierten Städten nur in Amsterdam, Hamburg und den Haag gestiegen. Die Inflationsrate im Euroraum lag im September bei 9,9 Prozent, einem neuen Höchstwert, sodass auch weiterhin mit Preiserhöhungen zu rechnen ist.

Die Wohnungsknappheit ist keineswegs ein Problem einer bestimmten Stadt oder eines Landes, sondern ein gesamteuropäisches und möglicherweise globales Problem darstellt. Als Abhilfe haben einige Länder und Städte mit drastischen Mietobergrenzen experimentiert. Die bloße Regulierung der Mietmärkte durch Mietobergrenzen oder Verordnungen bringt jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse. Das zeigt auch der wenig erfolgreiche Mietendeckel in Berlin. Dieser bewirkte keine erhoffte langfristige Erleichterung des Mietmarkts in der deutschen Hauptstadt. Vielmehr wurde das Mietökosystem noch weiter verzerrt und Angebot auf dem Markt nahm ebenso ab wie die Zahl der Wohnungsneubauten, weil Investoren sich sorgen um ihre Renditen und die Marktentwicklungen machten.

Schlüssel für den Wohnungsmarkt: Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit

Das eigentliche Problem des Wohnungsmarkts ist der Angebotsmangel. Der Weg zur Schaffung eines nachhaltigen Mietökosystems liegt darin, die drei Faktoren Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit zu stärken. Verfügbarkeit kann etwa durch die Sanierung bestehender sowie den Bau neuer Immobilien geschaffen werden. Solange zu wenig Wohnungen verfügbar sind, besteht kaum Hoffnung darauf, dass Wohnraum erschwinglich wird. Erschwinglichkeit sollte durch ein breites Angebot für unterschiedliche finanzielle Situationen angestrebt werden, um Vielfalt und Integration zu gewährleisten. Hinzu kommt die Zugänglichkeit, die sich auf ein breiteres Spektrum von Faktoren bezieht, die über die direkten finanziellen Attribute hinausgehen: Zugang zu Wahlmöglichkeiten, transparente Informationen, Infrastruktur, Bildung, Arbeitsplätze, Kultur, Nachbarschaft und eine einladende Gemeinschaft, um nur einige zu nennen. Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit sind Schlüsselfaktoren und ermöglichen sowohl der zukünftigen Generation als auch den Städten eine positive Entwicklung.

Wichtiger Standortfaktor für Unternehmen und Städte

Ein funktionierendes Mietökosystem ist eine Voraussetzung dafür, dass eine Stadt als Standort für Unternehmen attraktiv ist. Einerseits benötigen die Arbeitnehmer Wohnraum, um den Wunsch zu entwickeln, zu bleiben, andererseits haben auch die Arbeitgeber ein großes Interesse an einem ausgewogenen und funktionierenden Mietökosystem. Das gilt auch für Städte, die ihre Attraktivität steigern wollen. Eine Partnerschaft von Politik und Wirtschaft ist für beide Seiten hochwillkommen. Es gibt viele gute Beispiele für Initiativen, die Situation nachhaltig zu verbessern. Etwa in München, einer Stadt, in der die Miet- und Kaufpreise seit Jahren ununterbrochen steigen.

Für Personaler wie Dr. Robert Scharpf, dem Personalchef des Flughafens München ergibt sich daraus dasselbe Problem wie für jede Großstadt: „Wer von außerhalb zum Arbeiten in den Großraum München zieht, findet aus der Ferne kaum noch eine Wohnung“. Die Lösung: Der Flughafen betreibt möblierte Appartements und sogar ein Mitarbeiterhotel, in dem das Unternehmen neuen Mitarbeitern für bis zu sechs Monate eine sanfte Landung im neuen Job ermöglicht. Mittelständler, die nicht über die Finanzkraft verfügen, eigene Wohnungen zu bewirtschaften, bieten sich möblierte Wohnungen oder Studios an, die vom Arbeitgeber etwa für Expats oder Projektmitarbeiter angemietet werden. Von dieser Startposition aus können diese sich leichter am lokalen Wohnungsmarkt orientieren. Talente langfristig an einen Standort zu binden, könnte im „War of Talents“ entscheidend für den Erfolg sein.

(von: Benedikt Kallen, DACH Regional Manager von HousingAnywhere)





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