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06.11.2023 Dauerstreit um eine Reform der Schuldenbremse ist nicht zielführend

Die Diskussion um eine mögliche Reform der Schuldenbremse ist zum Dauerthema geworden. Die Regelung war 2009 in das Grundgesetz aufgenommen worden, um eine übermäßige Verschuldung von Bund und Ländern und damit eine finanzielle Überforderung nachfolgender Generationen zu verhindern. Seit einigen Monaten wird in der Regierung und auch unter Ökonomen kontrovers darüber diskutiert, ob nicht doch gewisse Ausnahmen von der Regel möglich sein sollten, um dem Staat zusätzlichen finanziellen Spielraum zu verschaffen. Das Argument: Explizit zukunftsorientierte Investitionen, deren künftige Erträge gerade auch nachfolgenden Generationen zugutekommen, sollten von der Schuldenregelung ausgenommen werden. Ein Beispiel wären Investitionen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, also etwa der Ausbau der für die Nutzung erneuerbarer Energien nötigen Infrastruktur oder die Förderung der Erzeugung von grünem Wasserstoff. Aus ökonomischer Perspektive ist dieses Argument nachvollziehbar, weil zwischen dem Schutz nachfolgender Generationen vor finanzieller Überforderung einerseits und dem Schutz vor den Folgen des Klimawandels andererseits tatsächlich ein Zielkonflikt besteht. Die Entscheidung, welches Ziel Vorrang hat, könnte und sollte im politischen Diskurs herbeigeführt werden und nicht durch eine starre Regelung im Grundgesetz vorgegeben sein.

Klare Abgrenzung zwischen staatlichen Investitionen und Konsum nötig

Die Gegner einer Flexibilisierung der Schuldenbremse verweisen in ihrer Argumentation allerdings zu Recht auf die absehbare politische Praxis: Würde es wirklich gelingen, mit einer flexibilisierten Regelung Entscheidungen wie die obige treffen zu können, ohne einer ungebremsten Verschuldung Tür und Tor zu öffnen? Der laxe Umgang mit den Maastricht-Kriterien zur Begrenzung der Staatsverschuldung im Euroraum hat schließlich gezeigt, wie leicht solche Regelungen ausgehebelt werden können. Klar muss auch sein, welche Ausgaben im engeren Sinne zu den Investitionen gezählt werden können. Dass die Antwort auf diese Frage keinesfalls trivial ist, zeigt ein einfaches Beispiel der vergangenen Monate: Familienministerin Paus stellte die geplante Kindergrundsicherung als Investition in die Zukunft dar, weil sie die Chancen erhöhe, dass die begünstigten Kinder später Steuern zahlen und nicht selbst zu Transferempfängern werden. Unabhängig davon, für wie schlüssig man diese Argumentation hält, dürfte unter Ökonomen weitgehende Einigkeit herrschen, dass es sich bei der Kindergrundsicherung gerade nicht um eine Investition handelt, sondern um Sozialausgaben, mithin um staatlichen Konsum. Würde eine wie auch immer geartete reformierte Schuldenbremse eine höhere Verschuldung für dieses Vorhaben erlauben, liefe es also tatsächlich auf eine faktische Abschaffung der Schuldenbremse hinaus.

Finanzieller Spielraum entsteht vor allem durch Wachstum

Praktisch dreht sich die Diskussion um die Schuldenbremse seit geraumer Zeit im Kreis, weil die Chancen für eine Zwei-Drittel-Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes gering sind. Deshalb wäre es hilfreich, die Aufmerksamkeit wieder stärker auf das Wachstum zu lenken. Wenn die deutsche Wirtschaft nicht seit Ende 2019 stagnieren würde, sondern wie in fast allen anderen Ländern gewachsen wäre, hätte der deutsche Staat auch deutlich mehr Steuereinnahmen für Ausgaben zur Verfügung. Die ungefähre Größenordnung lässt sich abschätzen, indem man die im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, für das Jahr 2023 prognostizierten Steuereinnahmen mit dem zu erwartenden tatsächlichen Steueraufkommen vergleicht und dabei die zwischenzeitlich eingetretene Inflation berücksichtigt, die in den damaligen Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung nicht enthalten war. Die Differenz beträgt etwa 30 Milliarden Euro. Bund und Länder könnten also in diesem (und auch im kommenden) Jahr 30 Milliarden Euro mehr ausgeben, ohne die Schuldenregelung zu verletzen, wenn die deutsche Wirtschaft ein positives Wachstum aufweisen würde statt der andauernden Stagnation. Die Diskussion über tatsächlich sinnvolle und notwendige Vorhaben würde erheblich vereinfacht, wenn der Verteilungsspielraum auf diese Weise größer wäre. Man sieht: Klimaschutz und Wachstum sind keineswegs, wie häufig dargestellt, Gegensätze, sondern bedingen einander in gewisser Weise.

Die Wiederherstellung von Bedingungen, unter denen ein größeres Wachstum der Wirtschaft ermöglicht wird, ist ihrerseits ein mühsames Unterfangen, scheint aber in jedem Fall lohnender und zukunftsweisender als der Dauerstreit um eine Reform der Schuldenbremse.

(Autor: Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe)





















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