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21.11.2023 Wohnungsneubau: Neue Hochhaussiedlungen oft nicht zielführend

Aengevelt hält den Vorschlag von Bundeskanzler Olaf Scholz, wie in den 1970er Jahren bundesweit 20 neue Stadtteile mit Wohnhochhäusern auf der grünen Wiese zu bauen, um die Wohnungsnot zu beheben, weder für zielführend noch für realistisch.

Erstens besteht die Gefahr, dass sich angesichts anhaltend problematischer Strukturen auch neue Großsiedlungen wieder zu Problemquartieren entwickeln, wie dies bei dem größten Teil der Hochhausgebiete aus den 1970er Jahren zu beobachten war und ist.

Zweitens werden sich auch für große Wohnungsbauprojekte in neuen Stadtteilen keine Investoren finden, wenn die Schere zwischen Herstellkosten und erzielbaren Mieten weiterhin markant auseinanderklafft. Eine weitere unerlässliche Erfolgsvoraussetzung wäre zudem, dass erforderliche komplexe Infrastrukturen, wie z.B. Schulen, medizinische Versorgung, ÖPNV, umfassende Einkaufs- u. Dienstleistungsangebote etc., schon funktionsfähig an den Zielstandorten vorhanden wären – was ja eine widersinnige Umkehr der Ansiedlungs-Reihenfolge bedingte.

Dass sich in vielen Großstädten als Folge anhaltend fehlgesteuerter Rahmenbedingungen konsequent eine neue Wohnungsnot entwickelt hat, ist mittlerweile unstrittig. Die Zahl der Baufertigstellungen ist von jährlich rund 600.000 Wohneinheiten in den 1990er Jahren auf unter 300.000 pro Jahr nach der Jahrtausendwende gesunken. So wurden 2022 ca. 295.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Das liegt weit unter den ca. 400.000 Wohnungen pro Jahr, die von der Bundesregierung als politisches Ziel benannt wurden.

Für die nächsten Jahre sind aufgrund der anhaltend rückläufigen Bauanträge und Baugenehmigungen weitere kräftige Rückgänge bei den Fertigstellungszahlen vorprogrammiert. So prognostiziert Aengevelt Research z.B. für 2024 ein Fertigstellungvolumen von nur noch rund 180.000 neuen Wohnungen. Damit würde nicht einmal mehr der jährliche Mindest-Ersatzbedarf von ca. 217.000 WE (0,5 % p.a. des deutschen Wohnungsbestandes von rd. 43,3 Mio. WE) erreicht.

Entsprechend sind die Neubaumieten, die einen Knappheitsindikator darstellen, in Deutschland seit 2008 um rund 60% angestiegen, in den Großstädten sogar um rund 70%. Eine Trendumkehr ist nicht erkennbar.

Angesichts dieser Zahlen hat der Kanzler empfohlen, nach dem Vorbild der 1970er Jahre wieder Großbauvorhaben an den Stadträndern durchzuführen. Dem ist entgegenzuhalten, dass Hochhaussiedlungen auf der grünen Wiese mit zahlreichen Problemen verbunden sind:

• In Hochhäusern ist die Bildung von Nachbarschaftseinheiten untypisch. Hohe Anonymität und schwieriges bis daraufhin unzureichendes Objektmanagement befeuern latente Trends zur Ungepflegtheit bis Verwahrlosung und Vandalismus als Konsequenz, wenn keine funktionierenden halböffentlichen Zonen existieren, in die sich die Bewohner identitäts- und damit qualitätsstiftend und -erhaltend einbringen.

• Großsiedlungen auf der grünen Wiese leiden unter unzureichender und mangelnder Infrastruktur, was ebenfalls zur sozialen Sterilität beiträgt und die Attraktivität dieser Siedlungen nachhaltig reduziert.

• Uniformität des Wohnungsmixes führt zu sozial einseitigen Bewohnerstrukturen. Die Forschung hat aufgezeigt, dass sozial gemischte Bewohnerstrukturen für die gesellschaftliche Integration deutlich vorteilhafter sind. Die erfolgreiche soziale Mischung setzt jedoch auch eine qualitätssichernde Mischung von unterschiedlichen Gebäudetypen (einschließlich Einfamilienhäusern), von Miete und Eigentum, verschiedenen Qualitäts- und Preisniveaus sowie unterschiedlichen Wohnungstypen (einschließlich Seniorenwohnungen) voraus.

• Hochhäuser mit mehr als vier bis fünf Geschossen haben negative Auswirkungen auf das Stadtklima, weil sie oft die Frischluftversorgung blockieren und die Aufheizung begünstigen.

• An den Stadträndern gelegene Siedlungen steigern den Pendelverkehr und erfordern den Ausbau und den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur, der indessen - zwangsläufig - mit erheblicher Zeitverzögerung gegenüber der Errichtung neuer Wohnungen erfolgt.

Das Argument, das für Großsiedlungen spräche, nämlich die bessere Grundstücksnutzung durch hohe Verdichtung, hat sich in der Praxis in der Regel ebenfalls als fragwürdig erwiesen. Nach einer Untersuchung der Berliner Senatsverwaltung erreichen die bis zu elfgeschossigen Großwohnsiedlungen und Punkthochhäuser eine Geschossflächenzahl (GFZ) von lediglich 1,39, während demgegenüber die entkernte vier- bis fünfgeschossige Blockrandbebauung aus der Zeit nach 1945 auf eine deutlich höhere Dichte von 1,92 kommt. Der moderne Geschosswohnungsbau, der seit den 1990er Jahren betrieben wird, erreicht eine durchschnittliche GFZ von 1,17, die sich leicht optimieren ließe. Ein intelligent-sparsamer Umgang mit Grund und Boden lässt sich auch mit viergeschossiger Bebauung erreichen.

Die Idee, die Wohnungsnot in unterversorgten Wachstums- und Ballungskernen durch den Bau von Hochhaussiedlungen zu beheben, bedarf stets fallbezogen umfassender Überprüfung. Großwohnprojekte auf der grünen Wiese einschließlich der benötigten Erschließung und Infrastruktur erfordern ausnahmslos noch deutlich längere Vorlaufzeiten als sie ohnehin schon viel zu lang bei der Bebauung innerstädtischer Brachen, Baulücken oder Umnutzungen hierzulande in Anspruch nehmen. Und sie können das über Jahre entstandene akute fundamentale wirtschaftliche Wohnversorgungsproblem nicht lösen. Die Schere zwischen Herstellkosten und erzielbaren Mieten bzw. Verkaufspreisen hat sich durch die Anhebung des Zinsniveaus, Baukostensteigerungen und Lieferkettenproblemen noch weiter geöffnet.

Dass sich der Bau von Wohnungen nicht rechnet, ist allerdings kein neues Phänomen. Deshalb sind die großen Wohnungsbauleistungen der Nachkriegszeit und zuletzt in den 1990er Jahren auch nur erreicht worden, weil der Wohnungsbau nach dem Drei-Säulen-Modell großzügig staatlich gefördert wurde. Die drei Säulen waren:

• der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau

• die steuerliche Begünstigung des freifinanzierten Mietwohnungsbaus durch die degressive Abschreibung

• die besonders effiziente Förderung der Bildung von Wohneigentum in breiten Bevölkerungsgruppen

Trotz einiger Verbesserungen, die die Regierungskoalition jüngst beschlossen hat, sind die Förderkonditionen ungeachtet vergleichbar noch komplexerer Rahmenbedingen aber immer noch deutlich schlechter als in den 1990er Jahren und bleiben damit wie von Fachkreisen befürchtet für einen ausgewogenen Wohnungsneubau weitestgehend wirkungslos.

Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter Aengevelt Immobilien: „Der Bau von Großsiedlungen ist nicht die Lösung. Wenn wir den in zahlreichen Wachstumskernen und Ballungsräumen herrschenden drastischen Wohnungsmangel bekämpfen wollen, müssen wir die Förderbedingungen wieder auf das Niveau der 1990er heben. Und die Kommunen müssen jetzt endlich vermehrt komplikationslos für den Neubau bedarfsgerechtes Bauland ausweisen – bevorzugt im innerstädtischen Bereich und sekundär im Falle vorhandener bzw. synchron herstellbarer Infrastruktur auch an den Stadträndern. Dafür sprechen marktbezogen relevante ökonomische wie ökologische Gründe.“





















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