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25.01.2024 Das Soziale bei den ESG-Kriterien rückt in den Fokus

Nach Analysen von Aengevelt Immobilien heißt eine der größten Herausforderungen, mit denen die Immobilienwirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten konfrontiert wird, „ESG - Environmental, Social and Governance“.

Ursprünglich aus den USA stammend, hat inzwischen auch die Europäische Union mehrere Richtlinien verabschiedet, die nicht nur den Finanzsektor dazu verpflichten, Umweltverträglichkeit, Soziales und Unternehmensführung zu berücksichtigen, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen sind im Obligo, die Erfüllung dieser Kriterien in Nachhaltigkeitsberichten zu dokumentieren.

97 % der Experten, die von der Climate Positive Europe Alliance (CPEA) befragt wurden, erwarten in den nächsten fünf Jahren eine steigende Bedeutung der ESG-Kriterien. Die Immobilienwirtschaft muss sich darauf einstellen, dass in Zukunft jedes Gebäude, gleich ob gewerbliche oder Wohnimmobilie, nach den ESG-Kriterien bewertet wird. Während in den letzten Jahren dabei zunächst das “E“ mit Themen wie Energieeinsparung, Gebäudedämmung, erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit etc. im Vordergrund stand, rücken nun zunehmend soziale Kriterien in den Fokus.

In der Anfangsphase der Umsetzung der im Jahr 2020 eingeführten EU-Taxonomie lag der Schwerpunkt auf den Umweltthemen, was auch damit zu tun hatte, dass es für ökologische Anforderungen leicht messbare Indikatoren gibt. In einem Bericht, den die CPEA im September 2023 veröffentlichte, heißt es jedoch: „Wir sehen voraus, dass es in den kommenden Jahren einen verstärkten Fokus auf soziale Themen geben wird.“

Das bedeutet auch, dass spezifiziert werden muss, was das „Soziale“ in den ESG-Kriterien sein soll und wie es gemessen wird. Der CPEA-Bericht nennt neun Hauptgruppen sozialer Kriterien und gut zwei Dutzend Beispiele für Unterkriterien, die aber nur einen kleinen Ausschnitt sämtlicher sozialer Kriterien abbilden, nach denen Gebäude zukünftig beurteilt werden sollen. Dazu gehört eine Reihe von Anforderungen, die nach deutschem Recht bzw. EU-Recht längst zwingend erfüllt sein müssen, deren Einhaltung allerdings auch von ausländischen Zulieferern verlangt wird, wie z.B. der Ausschluss von Zwangs- und Kinderarbeit. Im Einzelnen lauten die Hauptkriterien:

Fairer und gerechter Grundstückserwerb

Hier geht es um die Respektierung der Interessen örtlicher Gemeinschaften, um Partizipation und um faire (Markt-) Preise beim Grundstückskauf. Die Erfüllung dieses Kriteriums sollte bereits durch das deutsche Grundstücks- und Planungsrecht gewährleistet sein. Im Einzelfall kann es allerdings zu Konflikten kommen, etwa wenn eine Kleingartensiedlung einem Bauvorhaben weichen soll, selbst wenn dafür ordnungsgemäß Baurecht geschaffen worden ist.

Soziale und ökonomische Inklusion/Bezahlbarkeit

Dazu gehören u.a. die Schaffung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für lokale Arbeitskräfte sowie die Beauftragung örtlicher Unternehmen, die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, diskriminierungsfreie Zugänge, Familienfreundlichkeit oder soziale, demographische und ethnische Mischung. Einige dieser Anforderungen werden bereits jetzt umgesetzt, insbesondere durch Beschlüsse einiger Städte, bei Wohnungsbauvorhaben Quoten für Sozial- oder/und preisreduzierte Wohnungen zu verlangen, oder durch Auflagen von Planungsbehörden, Einrichtungen der sozialen Infrastruktur (z.B. Kindertagesstätten) in Bürogebäude zu integrieren. Bei anderen muss die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht hinterfragt werden, etwa hinsichtlich des Bau- und Vergaberechts oder hinsichtlich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das zwar Diskriminierungen verbietet, aber eine Steuerung von Bewohnerstrukturen ausschließt.

Bereitstellung allgemein zugänglicher Verkehrsinfrastruktur

Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass ÖPNV-Anbindungen, Fahrradabstellmöglichkeiten und PKW-Stellplätze, auch mit elektrischer Lademöglichkeit, bereitgestellt werden müssen.

Sicherstellung der mentalen und physischen Gesundheit von Endnutzern/Bewohnern

Diese Kriteriengruppe sollte bereits weitgehend durch das deutsche Baurecht abgedeckt sein; allerdings nennt der CPEA-Bericht auch zusätzliche Anforderungen wie den Zugang der Endnutzer bzw. Bewohner eines Gebäudes zur Natur sowie die Schaffung gesunder Quartiere, was insbesondere angesichts des Klimawandels zu zusätzlichen Anforderungen führen kann (wie kühlende Wasserflächen, Brunnenanlagen oder Baumpflanzungen).

Schaffung lebendiger städtischer Räume

Zu diesem Kriterium haben Planungsausschüsse und -ämter bereits sehr viel Phantasie entwickelt. Da werden mitunter öffentlich nutzbare Wege über Grundstücke verlangt, öffentliche Zugänge zu Bürogebäuden, begrünte Aufenthaltsbereiche (wie Foyers und Dachterrassen), öffentlich zugängliche Kunst, die Integration von Lokalen für soziale Einrichtungen, Dienstleistungen, Einzelhandel und Gastronomie in Bürogebäuden und etliches mehr, was dazu dienen soll, urbanes Leben zu stimulieren. Die Schaffung lebendiger städtischer Räume ist ein unpräziser Begriff, von dem sehr weitreichende – und entsprechend kostenträchtige – Anforderungen abgeleitet werden können.

Schutz des kulturellen und natürlichen Erbes

Diese Kriteriengruppe sollte in Deutschland bereits durch die mitunter sehr weitgehenden Maßnahmen des Denkmalschutzes (einschließlich von Naturdenkmälern) mehr als erfüllt sein.

Schutz digitaler Rechte

Auch zu diesem Thema haben die deutsche Gesetzgebung und die EU-Regulation bereits sehr weitreichende Vorschriften erlassen, die allerdings im Zuge von Smart Building-/Smart-City-Technologien der fortlaufenden Konkretisierung bedürfen.

Wahrung der Arbeitnehmerrechte / Gewährleistung von Gesundheits- und Arbeitsschutz für Arbeitnehmer

Auch mit dieser Kriteriengruppe dürften Entwickler und Investoren keine Probleme haben, da es auch hierfür eine umfassende gesetzliche Regulierung gibt. Problematisch könnte allerdings werden, dass die Einhaltung dieser Kriterien auch von ausländischen Zulieferern verlangt wird. Ein deutsches Bürogebäude wird in Zukunft z.B. auch danach beurteilt, unter welchen Arbeitsbedingungen in einem südostasiatischen Land darin verbaute Hölzer gewonnen werden.

Für Wohnimmobilien hat die Gesellschaft für immobilienwissenschaftliche Forschung (GIF) einen Baukasten mit messbaren Kriterien für soziale Nachhaltigkeit bei Wohnimmobilien entwickelt. Dieser Baukasten enthält fünf Hauptkriterien:

1. Bezahlbares Wohnen
2. Zielgruppenadäquates Wohnen
3. Infrastruktur zur Ermöglichung sozialer Teilhabe
4. Gesundes Wohnen
5. Stabile Nachbarschaft und soziale Kohäsion

Die Einhaltung der Kriterien soll nach Möglichkeit über quantitativ messbare Indikatoren erfolgen wie beispielsweise den Anteil geförderter Wohnungen im Objekt, den Anteil an freiwillig mietpreisreduzierten Wohneinheiten, Mietbelastungsquote oder Quadratmeter- und Zimmeranzahl (als Indikator für Zielgruppenadäquanz). Andere Indikatoren wie Gemeinschaftsflächen, öffentlich zugängliche Grünanlagen und Kinderspielplätze sowie Fahrradstellplätze, bewegungsfreundliche Räume oder fußgängerfreundliche Gehwegnetze sollen qualitativ gemessen werden. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), die maßgeblich an CPEA beteiligt ist, führt die GIF eine Studie zur Praxistauglichkeit ihres Kriterienkatalogs durch.

Fazit

Dr. Wulff Aengevelt, geschäftsführender Gesellschafter von Aengevelt Immobilien, fasst zusammen: „Die Immobilienwirtschaft muss sich darauf einstellen, dass die Anforderungen an die soziale Gestaltung aller Immobilien-Typen steigen. Gegenwärtig werden Kataloge von Indikatoren für das `Soziale‘ bei den ESG-Kriterien erarbeitet. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass der Ehrgeiz der Fachgruppen darin besteht, möglichst umfassende Kataloge mit Maximalanforderungen zu definieren. Wenn dadurch die Herstell- und Betriebskosten signifikant steigen, wird allerdings das Hauptziel dieser Bemühungen verfehlt: Nämlich Immobilien zu schaffen, die eine markant hohe Nutzungsqualität aufweisen und gleichwohl für breite Kreise bezahlbar sind.“






















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