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04.05.2022 Holz-Hybridbauten werden eine große Zukunft im Städtebau haben

Prof. Ludwig Wappner. Fotocredit: Myrzik und Jarisch
Copyright: © Bauwerk
Farblich gestaltete Holzfassaden mit einem speziellen Begrünungskonzept sollen schon bald das Münchner St.-Vinzenz-Viertel prägen. Denn an der Ecke Gabrielenstraße 3 und Rupprechtstraße 22 errichtet der Projektentwickler Bauwerk das Holzhybrid-Ensemble VINZENT für Wohnen und Office. Es ist das erste seiner Art im Münchner Innenstadtgefüge und wird damit zum Vorreiter für innerstädtische, nachhaltige Neubauten zum Leben und Arbeiten. Der Architekt und Stadtplaner Ludwig Wappner vom federführenden Büro allmannwappner (vormals Allmann Sattler Wappner Architekten) erklärt im Interview, warum Holz als Baustoff lange Zeit in Vergessenheit geraten war, was den aktuellen Boom ausmacht und welche innovativen Gedanken und Visionen hinter VINZENT stecken.

Gesellschaftliches Umdenken und neue Bautechniken forcieren den aktuellen Boom des Holzbaus

Herr Wappner, der Baustoff Holz gehört zu den ältesten in Mitteleuropa. Wir alle kennen Pfahlbauten oder mittelalterliche Fachwerkhäuser. Heutzutage allerdings sind Holzgebäude rar. Seit wann ist Holz vor allem im urbanen Kontext des Bauens in Vergessenheit geraten und warum?

Es ist richtig: Der Baustoff Holz wurde für die Errichtung von Gebäuden früher sehr viel häufiger verwendet. Das liegt vor allem daran, dass Holz in unseren mitteleuropäischen Regionen schon immer ausreichend verfügbar war – auch weil die klimatischen Verhältnisse in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern das zügige Nachwachsen begünstigen. Durch den enormen Einsatz beim Bauen in den zurückliegenden Jahrhunderten haben Handwerker über viele Generationen hinweg hervorragende Kenntnisse und Fähigkeiten entwickelt, mit diesem Material zunehmend kreativer, geschickter und effizienter umzugehen. Davon profitieren wir noch heute.

Vor allem im städtischen Kontext ist Holz aber im Zuge der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts stark in Vergessenheit geraten oder hat als Baustoff industriell gefertigte Konkurrenz erhalten. Maschinell hergestellte Baustoffe wie Ziegel oder Beton wurden zunehmend bevorzugt. Denn sie konnten günstiger, schneller und in großen Mengen produziert werden. Außerdem waren viele unserer Städte früher komplett aus Holz gebaut und sind teilweise in ihrer Geschichte mehrere Male abgebrannt. Holz war daher in den Köpfen der Menschen als Gefahrenquelle verankert. Der bauliche Brandschutz im Zusammenhang mit dichter innerstädtischer Bebauung war also schon immer ein Thema im Städtebau. Im Gegensatz dazu konnten im Industriezeitalter mit brandresistenteren Baustoffen bessere Sicherheitsnachweise und damit auch mehr Vertrauen bei den Menschen erzeugt werden. Das ist einer der Gründe dafür, dass die industriellen Baustoffe das Material Holz gerade im europäischen Städtebau immer mehr verdrängt haben.

Wie erklären Sie sich den aktuellen Boom rund um den Holzbau?

Der Holzbau-Boom wurde eindeutig ausgelöst durch das wachsende ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft. Holz als Baustoff ist so attraktiv, weil wir mit einem nachwachsenden, ressourcenschonenden und kreislaufgerechten Rohstoff arbeiten. Mit Holz können wir CO2 in Gebäuden speichern und setzen damit der energetisch aufwendigen Produktion anderer Baustoffe und deren Einsatz ein nachhaltiges und umweltschonendes Statement entgegen. Die CO2-Bilanz von Holz ist im Vergleich zu anderen Baustoffen unschlagbar gut. Aber Holz ist nicht unendlich verfügbar, sodass wir klug mit den Ressourcen umgehen müssen.

Ermöglicht wird der aktuelle Boom zudem durch die umfassende Forschung in den vergangenen Jahren – gerade in Regionen wie Vorarlberg, Graubünden oder Südtirol, aber auch im Schwarzwald und dem Allgäu. Wir verfügen damit heute über ein sehr großes Wissen über das Material, das gepaart ist mit den Jahrhunderte alten überlieferten handwerklichen Erfahrungen. So gibt es mittlerweile hervorragende Möglichkeiten, die Tragfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit von Holz gegen Brände in Langzeitversuchen optimal zu testen.

Eine weitere große Rolle spielt die Digitalisierung. Die CNC-Technologie und andere technische Revolutionen waren hier ein echter Quantensprung. Durch technisch basierten Maschineneinsatz kann Holz heute bis auf den Millimeter genau bearbeitet und vorproduziert werden. Das geschieht dann auch direkt in einer Werkstatt, wo die Bauteile im Trockenen vorgefertigt und teilweise schon aufgebaut werden können. Dieser hohe Vorfertigungsgrad von modularen Holzelementen spart viel Zeit und Kosten.

Durch all diese Entwicklungen ist Holz als Baustoff in den vergangenen Jahren wieder sehr spannend geworden – und das Vertrauen in das Material ist enorm gewachsen. Zudem hat Holz auch viele weitere Vorteile, die die Menschen schätzen: Es riecht gut, sieht vertraut aus und fühlt sich angenehm an.

Der Holzanteil in VINZENT ist so hoch angesetzt, wie es im Rahmen der Normierungen und Regelungen für innerstädtische Wohn- und Bürogebäude angemessen und machbar ist.

In München entsteht derzeit mit dem Projekt VINZENT das erste Holzhybrid-Ensemble für Wohnen und Office im Innenstadtgefüge. Ihr Büro allmannwappner zeichnet für das architektonische Konzept verantwortlich. Was bedeutet Holzhybrid bei diesem Projekt genau?

Gemeinsam mit dem Projektentwickler Bauwerk wollten wir ein zukunftsfähiges Gebäude errichten, das den aktuellen gesellschaftlichen und klimapolitischen Diskussionen gerecht wird. So kamen wir schnell zum Bauen mit Holz. Das allerdings unterliegt in Deutschland gerade im städtischen Zusammenhang vielen komplexen Bauvorschriften und Normen. Deshalb konnten wir Holz nicht als alleinigen Baustoff einsetzen. Wir haben aber im Rahmen einer technischen und wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung versucht, den Holzanteil im gesamten Ensemble so hoch wie möglich anzusetzen. Also haben wir möglichst viel Holz in Decken, Wänden und Stützen eingeplant, um den CO2-Fußabdruck der neuen Gebäudeteile zu verbessern und alle Vorteile des Materials auszuschöpfen.

So haben wir im Office-Teil an der Rupprechtstraße durch einen Hybridbau und eine komplette Holzfassade einen maximalen Anteil an Holz einplanen können. Die extrem hohen Anforderungen an den Schall- und Brandschutz in den Wohngebäuden ist allerdings nur realisierbar, indem wir einen Materialmix aus Beton, Stahl und Holz verwenden. Deshalb besteht dort die Fassade komplett aus Holz, die strukturell tragende Grundlage aber bildet ein Betonskelett.

Das Office-Gebäude in VINZENT wird also in Holzhybrid-Bauweise errichtet. Welche Vorteile bringt dies für die künftigen Mitarbeiter mit sich?

Die Mitarbeiter können nach der Fertigstellung die Struktur der kompletten Konstruktion sowie die optischen Qualitäten und die Haptik des Materials Holz unverkleidet und authentisch erleben und nutzen. Sie können den sichtbaren Baustoff fühlen oder auch seinen angenehmen Geruch wahrnehmen. Viele Menschen verbinden etwas Vertrautes damit. Das schafft ein besonderes Wohlbefinden. Zudem ist Holz ein natürliches Material, das wunderbare Fähigkeiten für ein gesundes und angenehmes Raumklima birgt.

Die farbige Holzfassade ist auch das charakteristischste Merkmal der insgesamt drei Gebäude. Welche architektonischen Gestaltungsprinzipien liegen ihr zugrunde und was unterscheidet sie von anderen Holzfassaden?

Mithilfe industriell gefertigter Ornamente der Holzfassade wollen wir eine handwerkliche und gestaltende Verbindung zu den Gründerzeithäusern in der näheren Umgebung herstellen. Durch neue Technologien in der Holzbearbeitung können wir eine Plastizität erreichen, die wir eigentlich sonst nur von Massivbauten mit Putzfassaden kennen. Der Einsatz der maschinellen Verarbeitung ermöglicht zudem, dass die Holzornamente auch wirtschaftlich realisierbar sind. Hinzu kommt die bewusst gewählte farbliche Gestaltung der Fassaden bei VINZENT, die zumindest in Deutschland noch nicht in dieser Art im städtischen Kontext verbreitet ist. Damit unterscheidet sich das Projekt aktuell deutlich beispielsweise von einfacheren Holzfassaden, wie sie bisher schon häufig auch im gewerblichen Bauen verwendet werden.

Inwiefern müssen Sie die architektonische Herangehensweise an ein solches Projekt anders strukturieren und denken als beim konventionellen Bauen mit Mauerwerk oder Stahlbeton?

VINZENT als Holzhybrid-Bau im innerstädtischen, dicht bebauten Gefüge Münchens muss in der Gesamtbetrachtung schon um einiges genauer gedacht und geplant werden als ein herkömmlicher Massivbau aus Stahlbeton. Gerade in der Kombination von Holz mit Stahl und Beton brauchen wir deutlich mehr fachliche Kompetenz und Erfahrung aller Planungsbeteiligten. Wir haben uns deshalb schon seit einigen Jahren innerhalb unseres Büros intensiv fortgebildet und den fachlichen Austausch mit den Universitäten unserer dort lehrenden und forschenden Büropartner intensiviert. Zudem ist eine bestmögliche Koordination zwischen allen am Bauen beteiligten Fachleuten wie dem Brandschutz, der Tragwerksplanung, der Bauphysik und der Haustechnik notwendig.
Ein besonderes Augenmerk ist im Wohnungsbau auf das Thema Schallschutz zu legen.

Denn heutzutage müssen Entwickler und Architekten Wohnungen planen, in denen die Bewohner ihre Nachbarn möglichst nicht mehr hören. Im Massivbau würde man einfach eine mehrere Zentimeter dicke Betonwand gießen. Im Holzbau muss jedoch viel genauer gedacht und überprüft werden, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Durch diese komplexe Planung ergeben sich aber auch umgekehrt neue Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie in den Ornamenten und anderen sichtbaren Konstruktions- und Füllelementen der Holzfassaden von VINZENT zum Tragen kommen.

Welche Gedanken und Visionen hatten Sie bei der Konzeption von VINZENT und was macht das Projekt im Kontext des Städtebaus der Zukunft so einzigartig in München?

VINZENT entsteht im St.-Vinzenz-Viertel im Münchner Stadtteil Neuhausen. Die Herausforderung war, das Material Holz in das dichte und über die Jahre gewachsene Viertel kontextuell zu integrieren. Dabei soll der neue und große Holzhybrid-Baustein nicht als Fremdkörper in seiner benachbarten Umgebung mit Gebäuden aus der Gründer- und Nachkriegszeit wirken. Unser Ansatz war, das Ensemble durch großflächig verwendetes und farblich verfeinertes Holz in das von unterschiedlich farbigen Wandputzen geprägte Quartier einzufügen. Darüber hinaus wollten wir das Holz in der Fassade nicht nur als Trägerplatte beispielsweise für Putz verwenden, sondern es tatsächlich in der Fläche sichtbar und greifbar präsentieren. Damit möchten wir den Nutzern und Betrachtern zeigen, dass sich Holz wunderbar als Baustoff im urbanen Kontext der europäischen Stadt eignet. Außerdem können wir durch die Ornamente in den Holzfassaden aller drei Bauteile eine Plastizität und Tiefe erzeugen, die sich gut in das Viertel einfügt. Wir sind sehr gespannt, wie dieses Ansinnen nach der Fertigstellung auf die Bewohner, Nutzer und Passanten wirken wird.

Das Projekt liegt im Münchner Stadtteil Neuhausen – unweit Ihres eigenen Architekturbüros. Warum ist gerade diese Lage prädestiniert für ein solches Objekt?

Neuhausen und insbesondere das St.-Vinzenz-Viertel ist ein schönes, lebenswertes und gewachsenes Münchner Quartier. Es besticht von der Nymphenburger Straße her durch viele Gründerzeitgebäude und schafft dann ab Mitte der Gabrielenstraße einen gelungenen bauplastischen Übergang zu neueren Bauten der Nachkriegszeit. Darüber hinaus weist es eine dichte und größtenteils blockartige Baustruktur auf.

Wir bekommen nicht so oft die Möglichkeit, innerstädtisch in einem derart dichten Quartier einen solch großen neuen Baustein einzufügen. Deshalb war unser Ziel, über die farbige Fassadengestaltung Akzente zu setzen, die sich wohltuend in die Umgebung einbetten und zudem einen messbaren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, den auch die künftigen Nutzer und Passanten zu schätzen wissen. Die Lage, die Aufgabenstellung und die besonderen Ambitionen des Projektentwicklers Bauwerk sind prädestiniert dafür, ein solches Vorhaben an diesem Ort umzusetzen. Es sollte am Ende auch zeigen, dass es kontextuell in dicht gewachsenen und traditionellen Stadtteilen wie Schwabing, Bogenhausen oder der Maxvorstadt durchaus möglich ist, Gebäude mit einem hohen Anteil an Holzwerkstoffen künftig beim Bauen im Bestand oder im Neubau zu implementieren.

Farbige Holzfassaden mit Bepflanzung: VINZENT zeigt Natur im Einklang mit den Fassaden einer Stadt

Durch das Begrünungssystem an den Fassaden werden rund 100 Quadratmeter für Pflanzen im Neubau-Ensemble geschaffen. Hinzu kommen etwa 1.000 Quadratmeter Grünflächen im Innenhof. Welche Bedeutung haben Pflanzen für das Gesamtkonzept des Projektes?

Das Begrünungskonzept haben wir gemeinsam mit Bauwerk, der Landschaftsarchitektin Monika Schüller und der Landschaftsarchitektin Swantje Duthweiler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf sowie dem Pflanzgefäß- und Begrünungssystemproduzenten GKR Hydro entwickelt. Auch hier tragen wir den klimatischen Veränderungen und gesellschaftlichen Diskussionen Rechnung, indem wir unser spezielles Grünkonzept für die Höfe und die Fassaden noch stärker und erlebbarer in den städtischen Raum einbringen. München ist sehr dicht bebaut und stark versiegelt, sodass die steigenden Regenmengen vermehrt nicht mehr versickern oder über die Kanalisation ausreichend abfließen können. Hinzu kommt nach wie vor eine hohe Luftverschmutzung durch den Verkehr mit fossilen Brennstoffen und Reifenabrieb. Deshalb ist es eine unabdingbare Aufgabe, unser innerstädtisches Mikroklima zu verbessern.

VINZENT trägt dazu durch begrünte Fassaden und den begrünten Innenhof bei. Die eingesetzten regionalen Pflanzen wirken als Luftfilter und als Wasserspeicher. Das hilft uns, künftig nachhaltiger mit den steigenden Niederschlagsmengen umzugehen, die wir im Kreislauf auch für die Bewässerung der Pflanzen einsetzen werden.

Die Auswahl und Platzierung der Pflanzen haben zudem eine wichtige gestalterische Bedeutung für unser Konzept. Durch die Kombination der farbigen Fassade mit der Farbigkeit der Pflanzen wollen wir die architektonische Gestaltung mit der Natur überlagern. Wenn sich die farblichen Akzente der Pflanzen im Laufe eines Jahres verändern, schaffen wir zudem ein variierendes Erscheinungsbild des Ensembles. Gleichzeitig bringen wir den Nutzern im Alltag die Natur so nah wie möglich. Und den Bewohnern bietet sich auch auf den Balkonen die Möglichkeit des Urban Gardening.

Aktuell liegt der Bau mit Holz stark im Trend. Wenn Sie in die Zukunft schauen: Wie wird sich der Holzbau im städtischen Kontext in den kommenden Jahren weiterentwickeln?
2021 hat uns die große Nachfrage nach Holzwerkstoffen deutlich gezeigt, dass das Material Holz als Rohstoff nur begrenzt zur Verfügung steht. Denn es braucht Zeit, Pflege und Raum für Nutzwälder, um wachsen zu können. Selbst schnell wachsende Hölzer können erst nach mehreren Jahren gefällt und für das Bauen weiterverarbeitet werden. In den Städten und auf dem Land werden aktuell immer mehr Gebäude mit Holz gebaut – die benötigten Mengen nehmen also deutlich zu. Deshalb müssen wir angemessene und kluge Wege finden, wie wir diese kostbare und natürliche Ressource verantwortungsvoll nutzen und einsetzen können.

In den vergangenen Jahren war der Holzmassivbau stark im Aufwärtstrend. Dabei wird mit kompaktem und mächtigem Brettstapelholz gebaut, das nachweislich sehr gute Eigenschaften beim Bauen besitzt. Die Forstwirtschaft und auch die Holzforschung zeigen uns aber: Wir müssen diese sehr gut bewährte Bauweise künftig sorgsamer betrachten und zielorientierter einsetzen, weil durch die massiven Bauteile große Mengen an Holz benötigt und verbraucht werden. Deshalb sollten wir uns auch wieder verstärkt dem Holzständerbau und seinen besonderen Möglichkeiten widmen. Hier zeichnet die Entwicklung der vergangenen Jahre ebenfalls einen enormen Innovationsschub in der Baubranche auf, vor allem bei den Hybridbauten. Daher gehe ich davon aus, dass der Hybridbau aus Holz in Kombination mit anderen Materialien wie Mauerwerk, Lehm oder Ultraleichtbeton eine große Zukunft im europäischen Städtebau haben wird.






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