News RSS-Feed

27.10.2014 Revolution am Bau: Gebäude produzieren statt bauen

Modulare Herangehensweisen und industrielle Fertigung sind in der produzierenden Industrie wie der Pharma- und Automobilbranche gang und gäbe. Komplexität wird damit auf ein Mindestmaß reduziert, wiederkehrende Abläufe lassen sich standardisieren, Teileinheiten des Endproduktes vorfertigen. Anschließend werden sie effizient zu einem Ganzen zusammengefügt. Die Vorteile: beschleunigte Prozesse, reduzierte Kosten und eine planbarere Qualität der Produkte. Lässt sich diese Herangehensweise auch auf die Planung und den Bau von Immobilien anwenden, ohne die Funktionalität oder die Individualität der architektonischen Gestalt zu opfern?

Der Grundgedanke des modularen Bauens ist nicht neu: Seit vielen Jahren setzt man Gebäude nach dem Baukasten-Prinzip zusammen, um sie schnell, effizient und ökonomisch errichten oder flexibel verändern zu können – allerdings mit Abstrichen bei der Ästhetik und Funktionalität. Schuhschachtel-Architektur war die Folge. Daher war das modulare Bauen bisher auf wenige Gebäudetypen wie Industriehallen mit geringer Komplexität und Standardgrößen beschränkt.
Auch im Fertigbau von Wohnhäusern wird dieses Prinzip angewendet. Während Wohnbauten jedoch eine immer gleiche Nutzung haben, gibt es bei Gewerbebauten sehr viele unterschiedliche und sich schnell ändernde Anforderungen an das Gebäude. Die Räume beziehungsweise Raummodule müssen sowohl individuell als auch so flexibel wie möglich sein. Das alte Modell des modularen Bauens greift hier nicht. Bisher existierte keine Methodik, mit der modulares Planen und Bauen auch bei komplexen Gebäudetypen umgesetzt werden kann.

Planung neu denken

Um die Vorteile industrieller Prozesse auch beim Bau komplexer Immobilien nutzen zu können, muss der Planungsprozess neu gedacht werden: Planung bedeutet künftig, gleiche oder ähnliche Situationen im Gebäude aufzuspüren und in Module zu überführen. Je früher die Architektenentwürfe auf modulare Muster untersucht werden, desto besser. Im ersten Schritt werden die Nutzeranforderungen formuliert und ein Anforderungskatalog erarbeitet. Darauf basierend lassen sich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten der Büroeinheiten durchspielen und räumlich analysieren. So wird beispielsweise errechnet, wie viele Kombibüros, Einzelbüros etc. untergebracht und wie sie optimal platziert werden können. Dann gilt es, die gebäudetechnische Infrastruktur (Lüftung, Elektrotechnik, IT, Brandschutz) für die maximal mögliche Belegung zu erstellen. Gleichzeitig beginnt die Planung der einzelnen Module. Hierfür werden die Geschossflächen in Teilflächen unterteilt, denen Raummodule und Technikmodule zuzuordnen sind. Das Ergebnis ist ein individueller Baukasten für die modulare Planung.

Programmieren statt Zeichnen

Solche Gebäudebaukästen brauchen eine präzise geometrische Beschreibung, die mithilfe moderner Software erfasst wird. Vor dem CAD sitzen Mathematiker, keine Bauingenieure: Sie rechnen die Ausstattungsdetails und Anordnungsmöglichkeiten der einzelnen Module durch. Diese mathematische Methode wird dann in bautechnische Lösungen überführt. Der Gebäudeentwurf wird also programmiert und nicht mehr gezeichnet und führt damit zu reproduzierbaren Parametern. Innerhalb der gesetzten Strukturmerkmale können beliebige Geometrievarianten erzeugt und der Entwurf der finalen architektonischen Form angenähert werden. Es geht nicht mehr um das Konstruieren von ganzen Gebäuden, sondern vielmehr um das Programmieren einzelner Gebäudemodule, bei denen alle Fachdisziplinen integriert betrachtet werden. Daraus resultieren repetitive Situationen: Die nachfolgenden Planungs- und Ausführungsschritte laufen dadurch deutlich effizienter und schneller ab – bei reduzierter Fehlerquote.

Keine Architektur à la Schuhschachtel

Architekten treibt bereits die Sorge um, dass ihre architektonische Freiheit mit der modularen Planung eingeschränkt wird. Dies ist unbegründet. So bekommen die Planer auch komplexe Gebäude mit schwierigen Geometrien systematisch in den Griff. Schuhschachteln gehören der Vergangenheit an. Stattdessen werden die Vorteile von Gebäudebaukästen auf individuelle, leicht veränderbare Gebäudeentwürfe übertragen. Denn modular bedeutet auch, dass Module intelligent durch andere, neue Module ausgetauscht werden können. Damit ist ein Umbau unkomplizierter und vor allem billiger. Auch die anfänglichen Baukosten sind um zehn Prozent geringer bei gleichzeitig besserer Qualität.

Ausblick

Bauunternehmen investieren bereits heute in Vorfertigungsprozesse (Beton). Die Vorfertigung von Gebäudetechnik steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Hier ist noch deutlich mehr Pionier- und Überzeugungsarbeit notwendig. Wir gehen davon aus, dass ab 2024 Betonwände, Stützen und Decken – wie heute bereits die Fassaden – vollständig vorgefertigt und auf der Baustelle montiert werden. Ebenso werden die gebäudetechnischen Installationen als modulare Pakete auf die Baustelle geliefert und dort steckfertig zusammengebaut.

(Statement von Bernhard Unseld, Partner und Geschäftsführer bei Drees & Sommer)


Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!