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25.08.2021 Nachfrage stärken, trotz Inflation!

Die vergangenen Jahrzehnte waren durch eine lockere Geldpolitik gekennzeichnet. Trotz niedrigerer Zinssätze und einer steigenden Geldbasis war Inflation nie ein Thema. Im Gegenteil: Nach der Dot.com-Blase und der Finanzkrise 2008/2009 sorgten sich die politischen Entscheidungsträger zunehmend um Deflation. Die von den Zentralbanken gesetzten Inflationsziele wurden nur selten erreicht. Immer wieder wurde der Ruf nach einer zusätzlichen Unterstützung durch die Fiskalpolitik laut, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Fiskalpolitische Programme in den USA und in Europa als Reaktion auf die Corona-Pandemie sorgen nun für die Kehrtwende. Alexander Hauser, Leiter Investment Management bei der MEAG, richtet seinen Blick auf Japan. Wer jetzt meint die Inflation bekämpfen zu müssen, indem er die staatliche Nachfrage zurückfährt, riskiert die Japanisierung der Wirtschaft.

Vom vergeblichen Versuch die Inflation zu "steuern"

Für die meisten Zentralbanken weltweit ist die Inflationsrate eine wichtige Zielgröße in der Festlegung ihrer Geldpolitik: Sie streben einen moderaten Anstieg der Preise als Ausdruck eines gesunden Wirtschaftswachstums an. Die Entwicklung der Preise kann als "Fieberkurve" betrachtet werden. Das "Inflationssymptom" kann jedoch verschiedene Gründe haben.

Die von den Zentralbanken angestrebte Inflation ist Ausdruck einer wachsenden Wirtschaft, in der eine steigende gesamtwirtschaftliche Nachfrage mit steigenden Preisen einhergeht. Um eine Überhitzung zu vermeiden, erhöhen die Zentralbanken den Preis für ein entscheidendes Aggregat der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die Investitionen, indem sie die kurzfristigen Zinssätze für Kredite erhöhen. Doch steigende Preise müssen nicht Ausdruck einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung sein, sondern können auch besondere Situationen widerspiegeln. Engpässe bei wichtigen Inputfaktoren, Vorprodukte, natürliche Ressourcen oder staatliche Eingriffe, z.B. Steuern, können zu steigenden Preisen führen, ohne dass das Sozialprodukt steigt.

In der aktuellen Inflations-Debatte stellt sich vor allem die Frage, ob der Preisanstieg nur vorübergehend ist, oder der initiale Schub zu dauerhaften oder gar verstärkenden Effekten führt. Der Zusammenhang zwischen den von Zentralbanken steuerbaren "kurzfristigen Zinssätzen" und der "Inflationsrate" ist nicht eindeutig. In einem normalen Umfeld würden niedrigere Zinssätze und/oder höhere Staatsausgaben zu einer Zunahme des Sozialprodukts und damit zu höheren Preisen führen. Seit den 1990er Jahren schwächte sich diese Beziehung ab. Insbesondere nach der Finanzkrise 2008/2009 hat die massive monetäre Expansion nicht die gewünschten Auswirkungen auf die Preise gehabt.

Inflationsängste gefährden die nachhaltige wirtschaftliche Erholung

Seit der Finanzkrise wird die "Japanisierung" der Volkswirtschaften und Finanzmärkte als Argument angeführt. In den 1980er Jahren erlebte Japan einen extrem starken Anstieg der Immobilienpreise. Das Platzen dieser Blase führte zu einer Banken- und Finanzkrise, gefolgt von einer äußerst expansiven Geld- und Fiskalpolitik. Trotzdem kämpft das Land immer noch mit dem Gespenst der Deflation.

Richard Koo von Nomura Research hat in einer Analyse die "Bilanzrezession" als Ursache der Krise ausgemacht.[1] Nach dem Platzen einer Blase bringen alle Wirtschaftsakteure ihre finanzielle Situation wieder in Ordnung. Private Haushalte halten sich aufgrund der Unsicherheit mit dem Konsum zurück; Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück; der Finanzsektor reduziert seine Risikobereitschaft und ist restriktiver in der Ausreichung von Krediten. Da alle wesentlichen Akteure ihre wirtschaftlichen Aktivitäten gleichzeitig einschränken, kommt es zur Rezession. Staat und Zentralbank müssen einspringen und den Nachfrageausfall kompensieren.

Entsprechend könnte eine Kombination aus massiver Staatsausgabenerhöhung und ultralockerer Geldpolitik – so wie sie jetzt durch die Pandemie ausgelöst wurde – genau die richtige Reaktion auf die Rezession sein. Ob diese Politik jedoch ausreicht, um den massiven Nachfrageeinbruch in der Weltwirtschaft langfristig zu kompensieren, bleibt abzuwarten. Die derzeit hohen Inflationsraten könnten die konjunkturpolitischen Maßnahmen in Frage stellen, mit möglicherweise deutlich negativen Folgen für die Weltwirtschaft.

Die Therapie einer Bilanzverkürzung braucht Zeit. Viel mehr Zeit als zum Beispiel die Amtszeit des US-Präsidenten. Gleichzeitig sind die öffentlichen Haushalte vieler Industrieländer bereits angespannt. Der politische Widerstand gegen einen nachhaltigen, langfristigen fiskalischen Impuls als Reaktion auf diese Krise dürfte mit der Zeit zunehmen. Die Bewältigung der negativen Auswirkungen einer Bilanzrezession dürfte eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre werden.

Vor diesem Hintergrund können die derzeit höheren Inflationsraten als erste Reaktion auf einen dringend nötigen Aufschwung gesehen werden, der durch verstärkte staatliche Interventionen ausgelöst wurde. Die Dynamik wird allerdings nachlassen.

Die Schaffung eines dauerhaften, nachhaltigen Impulses ist die Herausforderung

Die japanische Erfahrung lehrt uns, dass die Geldpolitik allein in der Krise nicht ausreicht: Die Wirtschaftsakteure bereinigen ihre Bilanzen, doch das billigere Geld muss nicht unmittelbar zu mehr Investitionen führen. In der Regel fangen Staaten bereits an, ihre Nachfrageimpulse zu drosseln, bevor sie ein nachhaltiges Wachstumsumfeld erreichen. Die derzeit hohen Inflationsraten in den USA könnten dafür als Argument dienen. Eine mögliche Folge könnte dann allerdings sein, dass Zentralbanken in den kommenden Jahren wieder stärker mit der Bekämpfung der Deflation als der Inflation beschäftigt sein werden. Das langfristig ausgerichtete Infrastrukturprogramm von US-Präsident Biden mit einem Volumen von einer Billion US-Dollar ist deshalb zu begrüßen.
Eine Kombination aus Fiskal- und Geldpolitik ist die notwendige und angemessene Antwort auf die gegenwärtig noch andauernde Wirtschaftskrise. Das Inflationsphänomen wird sich als vorübergehend erweisen. Weitere langfristige staatliche Ausgabenprogramme werden erforderlich sein, um die Weltwirtschaft wieder auf Kurs zu bringen.

(Kommentar von Alexander Hauser, Leiter Investment Management bei der MEAG)






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