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08.03.2022 Krieg in der Ukraine – Europas Energiekrise

Europa ist weiterhin extrem abhängig von Energieeinfuhren. Selbst mit dem zunehmenden Ausbau erneuerbarer Energien in ganz Europa steigt die Nettoimportabhängigkeit weiter an und die Förderung in der Nordsee geht schneller denn je zurück. 2020 wurden 58 % der Energieversorgung durch Importe gedeckt (Quelle: Europäische Kommission). Der aktuelle Ukraine-Russland-Konflikt macht einmal mehr deutlich, dass sich der Kontinent dadurch in einer prekären Lage befindet.

Obwohl der tatsächliche Fluss von Erdöl und Erdgas durch die jüngsten Ereignisse kaum unterbrochen wird, sind die Marktpreise in die Höhe geschossen. Die nicht-russischen Öl- und Gaserzeuger profitieren von den Preisen und Mengen. Am deutlichsten ist der Preisanstieg beim Erdgas, das 2020 zu 32 % aus Russland bezogen wurde (Quelle IEA). Höhere Energiekosten werden sich sowohl auf die Haushalte als auch auf die Unternehmen auswirken und wahrscheinlich das Wirtschaftswachstum bremsen. Da die Gaspreise der wichtigste Grenzkostenfaktor sind, schießen auch die Strompreise in die Höhe und belasten das verfügbare Haushaltseinkommen und die Gewinne der Unternehmen. Es wird befürchtet, dass die BIP-Prognosen für die EU deutlich gesenkt werden und die Inflationserwartungen steigen.

Europa kann seine Energieversorgungssicherheit auf zwei Arten verbessern: durch eine höhere Inlandsproduktion oder einen geringeren Verbrauch. Dies ist bereits der Kern der aktuellen EU-Energiepolitik, des EU Green Deal. Dieses Programm wurde mit Blick auf den Klimawandel entwickelt, aber die Abkehr von kohlenwasserstoffbasierten Energiequellen bedeutet auch eine geringere Importabhängigkeit. Während Europas Öl-, Gas- und Kohleressourcen nahezu erschöpft sind, verfügt es über genügend Sonnen- und Windenergie, um seine Wirtschaft zu betreiben. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll von 22 % im Jahr 2020 auf 32 % im Jahr 2030 steigen. Der Green Deal legt auch großen Wert auf die Sanierung bestehender Gebäude und Fabriken, um sie energieeffizienter zu machen, sowie auf die Elektrifizierung des Verkehrssektors. Diese Initiativen werden zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen. Eine Systemumstellung wird jedoch nicht von heute auf morgen erfolgen. Europa wird auch in den kommenden Jahren von der russischen Versorgung abhängig bleiben.

Während dieses Land früher ein zuverlässiger Energielieferant war, ist dies heute nicht mehr selbstverständlich. Aus diesem Grund muss die Europäische Union zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um mögliche Engpässe während der Übergangsphase zu vermeiden. Erstens sollte sie ihre Versorgungsbasis für Erdgas diversifizieren. Die EU könnte eine Erhöhung der nicht-russischen Importe, vor allem aus Norwegen und Aserbaidschan, ins Auge fassen und gleichzeitig neue russische Verträge ablehnen, die auslaufender Verträge ersetzen. Weitere kurzfristige Nachfrage kann angesichts der hohen inländischen Wiederverdampfungskapazität durch steigende LNG-Importe gedeckt werden. Dies erfordert jedoch ein gewisses strategisches Vorgehen gegenüber der Konkurrenz durch asiatische Importeure.

Zweitens müssen die Mitgliedstaaten möglicherweise ihre Pläne zur Abschaltung großer inländischer Kern- und Kohlekraftwerke verschieben, um den inhärenten Schwankungen der erneuerbaren Energien Rechnung zu tragen. Sie benötigen also einen pragmatischeren Ansatz bei der Abwägung zwischen sozioökonomischen und ökologischen Aspekten. Und schließlich bieten die Sommermonate die Gelegenheit, die Speicher für den nächsten Winter zu füllen und verschaffen der EU Zeit, ihre nächsten Schritte für den Übergang zu planen. Dies erfordert eine EU-weite Koordination der Gasspeicher und potenzielle Regelungen für Mindestspeichermengen.

Wir gehen davon aus, dass die meisten unserer Erkenntnisse dem Konsens der Entscheidungsträger entsprechen. Die EU-Energieminister trafen sich am 28. Februar zu einer außerordentlichen Sitzung in Brüssel, um sich über die Energiesituation auszutauschen. Neben Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine und zur Förderung benachteiligter Haushalte in der EU unterstrich der Europäische Energierat „die Bedeutung des Europäischen Green Deal und des Legislativpakets ‚Fit for 55‘, um die Abhängigkeit der EU von Kohlenwasserstoffen zu verringern.“ (Quelle: Zusammenfassung der EU-Sitzung)

Fazit

Die einzig sinnvolle Reaktion auf die derzeitige Energiekrise ist die Beschleunigung und nicht die Verschiebung der Energiewende. Mit dem „Green Deal“ hat die EU bereits einen entsprechenden Plan. Sie sollte jedoch die Umsetzung beschleunigen, indem sie beispielsweise ein Schnellverfahren für die Festlegung von Zonen und Genehmigung von Windparks einführt.

(Kommentar von Herman Klein, Senior Analyst Equities bei NN Investment Partners)






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