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23.03.2022 Physischer Arbeitsplatz ist extrem wichtig: Das Büro bleibt Ankerpunkt

Mobiles Arbeiten bildet seit zwei Jahren den Maßstab für aktuelle Arbeitswelten. Förmlich über Nacht sind im Frühjahr 2020 ganze Belegschaft ins Homeoffice geschickt worden. Nun möchten vor allem die Unternehmen ihre Angestellten wieder im angestammten Büro sehen – zumindest für einige Tage pro Woche. Woher kommt dieser Wunsch, welche handfesten unternehmerischen und betriebswirtschaftlichen Prämissen stehen dahinter und wie können gleichzeitig die Mitarbeiter zufriedengestellt werden, von denen ein Großteil gern weiter vom heimischen Arbeitsplatz aus tätig sein möchte? Um diese Fragen drehte sich der MasterTalk Real Estate #19 „Work from Home – Implikationen für Corporate Real Estate-Strategien" letzte Woche, veranstaltet von CoreNet Global und der Hochschule Fresenius.

Prof. Dr. Thomas Glatte, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius und als CNG-Vorstandsmitglied für Aus- & Weiterbildung zuständig, hatte hierzu vier Redner aus Wissenschaft und Praxis eingeladen:

• Prof. Dr. Andreas Pfnür, FRICS, Professor für Real Estate, TU Darmstadt
• Björn Christmann, Geschäftsführer, Bayer Real Estate GmbH, Leverkusen
• Meno Requardt, Sprecher der Geschäftsführung, VW Immobilien
• Andrea Schmidt, Leiterin Mietvertragsmanagement, VW Immobilien

Zunächst stellte Pfnür – laut Glatte „der Mann, der in unseren Breiten federführend für betriebliches Immobilienmanagement ist“ – die Thematik vor. Er präsentierte die Kernergebnisse einer großangelegten, von ihm durchgeführten Studie „Homeoffice im Interessenkonflikt“. Hierzu wurden 2.000 Teilnehmer in Deutschland und den USA in drei Befragungswellen über ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und Befindlichkeiten zum Thema befragt: vom Azubi bis zum Vorstand. Die zentrale Schlussfolgerung nahm Pfnür gleich vorweg: „Der physische Arbeitsplatz ist extrem wichtig“ – für das Individuum und dessen Zufriedenheit, aber auch für die Leistung und damit den Arbeitserfolg des Unternehmens. Weitere elementare Punkte seines Reports:

• Die Pandemieerfahrung führt vorerst zu keinem nachhaltigen Anstieg des Work from Home-Anteils

• Es gibt ein arbeitsbezogenes maximales Potenzial für das Homeoffice von 60 Prozent der Aufgaben.

• 57 Prozent der Befragten würden gern von zuhause aus arbeiten, Tendenz abnehmend.

• Homeoffice fördert den Arbeitserfolg, birgt aber auch erhebliche Risiken: Die Befragte sehen sich durchschnittlich um 11 bis 14 Prozent produktiver. Dem stehen 40 Prozent an Befragten gegenüber, die ihre Heimarbeit als unproduktiv einschätzen.
Heimarbeit muss organisiert werden

Dies liege unter anderem daran, dass nicht alle Beschäftigten die gleichen Voraussetzungen für Heimarbeit besitzen. Als Negativfaktoren wirken sich die Arbeit von Anfängern, ein vernetzter Job ohne Entscheidungshoheit und Teilzeit aus. Ebenso: eine urbane Umgebung, Mehrfamilienhaus, Hochhaus, wenige Zimmer, kein oder nur ein kleines eigenes Arbeitszimmer. Auch wer einsam, gelangweilt, gestresst oder viele Personen in der Wohnung hat, ist nicht prädestiniert für die Arbeit von zuhause.
Dagegen erhalten Führungsfunktionen, digital affine oder berufserfahrene Personen, jene mit Vielfalt im Job und mit Autonomie in Planung und Entscheidung einen Auftrieb. Positiv auf Heimarbeit wirkt sich auch aus, wenn man „älter, wohlhabend, verheiratet, gewissenhaft und verträglich“ oder über einen Garten, gute Nachbarschaft, angenehmes Stadtquartier oder eine attraktive Einrichtung verfügt, führte Pfnür aus.

An diesen Attributen entscheidet sich, wer zu den Gewinnern oder Verlierern gehört. Hierzu gehören „Senior Employees“ mit einer Arbeitszufriedenheit von 6,2 und einer Produktivität von 5,1 (jeweils 7 mögliche Punkte), gefolgt von Fachkräften mit Arbeitszufriedenheit von 5,6 und einer Produktivität von 4,8 sowie Führungskräften mit einer Arbeitszufriedenheit von 5,6 und einer Produktivität von 4,2. Auf den letzten beiden Plätzen rangieren hingegen die „Entscheider von morgen“ mit einer Arbeitszufriedenheit von 5 und einer Produktivität von 3,8 – die, wenig überraschend, mehr Zeit im Büro als zuhause verbringen wollen – sowie die „Unterforderten“ mit einer Arbeitszufriedenheit von 3,9 und einer Produktivität von 3,6.

Job, Persönlichkeit und Arbeitsort sind entscheidend

Die Erfolgsfaktoren für mobile Arbeit liegen im Job und persönlichen Bereich begründet. Entscheidend ist indes auch der Arbeitsort, zu dem nicht nur das angestammte Büro oder die eigene Wohnung gehören, sondern auch die sogenannten Dritten Orte, wie etwa Coworkingplaces oder Satellitenbüros. Kommen diese mit ins Spiel, können die Arbeitszufriedenheit, aber auch die Produktivität deutlich gesteigert werden.
Fazit Pfnür: „Man muss immer den Organisationzusammenhang im Blick haben.“ Dabei seien die Erkenntnisse nahezu „amtlich“ und messbar. Entscheider dürfen beim Thema „Homeoffice“ daher nicht mehr dem Bauchgefühl folgen. Und: „Der Arbeitserfolg hängt vom Arbeitsort ab!“ Neben den harten Daten sei jedoch ein Punkt von höchster Bedeutung – und gerade deshalb drängen auch so viele Unternehmen auf die tageweise Rückkehr ihrer Belegschaft: „Wenn Du kein Büro mehr hast, verlierst du die Kultur.“ Allein schon aus diesem Grund werden die Büroflächen ein Revival erleben und qualitativ hochwertiger werden, betonte Pfnür abschließend.

Als Mann der Praxis kam im Anschluss Meno Requardt von VW Immobilien ins Spiel und berichtete von den Erfahrungen des Konzerns und des von ihm geführten Tochterunternehmens: „VW war zu Beginn der Pandemie sehr konsequent mit Heimarbeit. Nach drei bis vier Wochen waren 100 Prozent der dafür infrage kommenden Leute zuhause. Und sie sind es seitdem. Einige Leute waren seit zwei Jahren nicht im Büro.“ Alle seien überrascht gewesen, wie gut das Geschäft weiterging.

Dabei müsse man allerdings aufpassen, dass die Unternehmenskultur nicht auf der Strecke bleibe, berichtete er von VW Immobilien mit 350 Mitarbeitern: „Wir haben eine ausgeprägte Willkommenskultur für neue Angestellte. Die müssen wir in die digitale Zeit retten.“ Zum Bild gehöre auch, dass viele Leute wieder zurück ins Büro wollen, zumindest tageweise. Daher werde die Homeofficepflicht entfallen. Auch Requardt betonte, dass sich Büroflächen weiterentwickeln müssen, um einen „Mehrwert gegenüber zuhause zu bieten“. Zu diesem Zwecke hat sein Unternehmen eine Etage umgebaut, um einen „Leuchtturm zu schaffen“.

Björn Christmann, zuständig für das globale Corporate Real Estate Management bei Bayer, rekapitulierte ebenfalls, wie nahezu alle Aufgaben im Frühjahr 2020 nach einer gewissen „Einschwingphase“ von zuhause erledigt werden konnten – selbst der Konzernabschluss. Auch sein Unternehmen habe das bestehende Bürokonzept weiterentwickelt und der neuen Zeit angepasst: „Das sind künftig Begegnungsstätten.“ Dabei sei es wichtig, die notwendige Flexibilität für die Kombination zwischen mobilem Arbeiten und Arbeiten im Büro zu bieten. Diese Flexibilität spiegelt sich in der „hybriden Arbeitswelt“ wider. Aktuell hat Bayer auf globaler Ebene bereits rund 70 Büroprojekte initiiert bzw. geplant (unter anderem mit Desk-Sharing) und viele konnten bereits erfolgreich abgeschlossen werden. Wichtig für Christmann ist die richtige Balance zwischen „mobilem Arbeiten“ und „Arbeiten im Büro“ zu finden, um u.a. die Unternehmenskultur und das Zusammengehörigkeitsgefühl weiter zu stärken. Er betont: „Wir wollen kein virtuelles Unternehmen werden.“

Moderne Arbeitswelten als Lagerfeuer

Co-Moderator Sven Wingerter, vom Berliner Workplace-Spezialisten Eurocres gefiel der Ansatz der Vorredner, die Qualität Büros deutlich auszubauen – für ihn „wahre Lagerfeuer“, um die sich die Belegschaft sammelt und austauscht. All diese Konzepte benötigen allerdings ein Regelwerk, wie Requardt betont: „Damit stärkt man den Führungskräften den Rücken.“ Schließlich stehen angesichts unterschiedlicher Meinungen viele Konflikte an. Aus diesem Grund hat VW auch eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die „uns maximale Flexibilität ermöglicht.“ Wichtigste Bedingung: Mindestens einen Tag pro Woche muss man im Büro sein, was man aber auch auf einen Monat strecken kann. Doch am Ende bleibe das Büro der Ankerpunkt, so Requardt.

Auch Bayer hat eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit dem Namen „hybride Arbeitswelt“ verabschiedet – ein Meilenstein. „Sie gibt den Rahmen vor, nun gehe es an die Ausgestaltung“, sagte Christmann. In einer großen Umfrage unter über 15.000 Kollegen in Deutschland haben diese den Wunsch geäußert, im Durchschnitt zwei bis drei Tage pro Woche ins Büro zu kommen. Letztlich müsse dies aber individuell entschieden werden, je nach Abteilung oder Team. Ohne begleitendes Changemanagement laufe dieser Prozess aber nicht.

An dieser Stelle unterstrich Pfnür: „Ein Unternehmen besteht aus Mitarbeitern, die an einem Ort tätig sind.“ Nur so lassen sich beispielsweise Innovationen vorantreiben. „Zukunftsfähige Unternehmen müssen im Büro arbeiten.“ Warum aber bevorzugen dann mehr Beschäftigte das heimische Büro als in der Firma, fragte er und antwortete sogleich: „Weil der Zustand unserer Büros bescheiden ist. Mitarbeiter hingegen wollen Qualität!“

Andrea Schmidt, ebenfalls von VW Immobilien berichtete von den Erfahrungen mit Meetings: „Die führen wir inzwischen hybrid durch. Dafür ist wiederum der Fokus auf Technik wichtig.“ Gleichzeitig brach sie eine Lanze für spontane Begegnungen: „Die Vernetzung kommt derzeit zu kurz. Bei den Teams läuft das zwar. Im Homeoffice-Zeitalter bleiben aber das zufällige Treffen mit anderen Kollegen und das informelle Fachgespräch über die Abteilungen hinweg auf der Strecke. Auch daher wünschen wir es uns, dass sie in die Büros zurückkommen.“

Nicht nur Homeoffice – das ganze Bild im Blick haben

Wird nun alles günstiger für die Unternehmen, wenn die Angestellten unterm Strich viel weniger Büroraum belegen? Dazu Christmann von Bayer: „Die Belegungskosten können sicherlich optimiert werden, aber die Transformation kostet Geld“. Ein Teil der notwendigen Investitionen können durch Einsparungen „refinanziert“ werden. Und was bedeutet all dies dann für die Assetklasse Büro, fragte Glatte in seiner Schlussrunde. Hierzu VW-Mann Requardt: „Die Assetklasse bleibt elementar wichtig, aber sie wandelt sich. Die geringere Fläche wird wertvoller.“ Und Christmann: „Die Assetklasse bleibt, aber die Portfolios der Corporates werden sich ändern.“

In seinem Abschlussstatement erklärte Pfnür, dass man das Thema Heimarbeit nicht zu eindimensional sehen dürfe: „Wir müssen uns das ganz große Bild anschauen. Wir erleben einen riesigen Strukturwandel durch Digitalisierung, Roboter und Künstliche Intelligenz. Die Arbeitswelten werden sich verändern, wir müssen aber alles gleichzeitig angehen. Homeoffice ist nur ein kleines Element von vielen.“





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