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08.06.2022 Noch viele ungenutzte Ideen für die Entwicklung von Innenstädten

Die Corona-Lockdowns haben die Erosionserscheinungen in zahlreichen deutschen Innenstädten beschleunigt, weil weitere Ladenlokale aufgegeben wurden und die Leerstände angewachsen sind. Alle sind sich einig: Um zu verhindern, dass Stadtzentren in Abwärtsspiralen geraten, brauchen sie Hilfe. Das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ soll Städte bei der Suche nach innovativen Konzepten unterstützen. Aengevelt Research hat die 238 geförderten Projekte analysiert und festgestellt, dass es zahlreiche gute Ideen gibt, von denen aber erst wenige umgesetzt werden.

Schon seit vielen Jahren ist ein Ladensterben zu beobachten, insbesondere in den weniger zentralen Städten und in Stadteilzentren, das durch den wachsenden Internethandel ausgelöst worden ist und durch die pandemiebedingten Lockdowns beschleunigt wurde. Dadurch drohen die Zentren in Abwärtsspiralen zu geraten: Wenn Ladenlokale längere Zeit leer stehen, verringert sich die Attraktivität der Innenstadt weiter, es kommen immer weniger Besucher – mit der Folge, dass noch mehr Geschäfte aufgegeben werden und Investitionen unterbleiben.

Es besteht politische Einigkeit, dass die Kommunen Unterstützung brauchen, um ihre Zentren vor dem Niedergang zu bewahren bzw. neu zu beleben. Multifunktionalität, Attraktivität, Aufenthaltsqualität und Baukultur sind Stichworte, mit denen die Chancen der Innenstädte gewahrt werden sollen. Der Bund hat das Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ aufgelegt, damit Kommunen ihre Innenstädte stärken können. Aengevelt Research hat systematisch ausgewertet, welche Maßnahmen die 238 Kommunen, die Fördersummen zwischen rund 200.000 und 5 Millionen Euro erhalten, damit durchführen.

Die häufigste Maßnahme ist die Suche nach Zwischennutzungen oder Nachnutzungen für leerstehende Ladenlokale. Dies wird von 44 % der Kommunen, die das Förderprogramm in Anspruch nehmen, praktiziert. Durch Vermittlungsleistungen, durch Anmietung durch die Kommune oder sogar durch Ankauf der Immobilie werden mitunter sehr kreative Zwischen- oder Nachnutzungen in den Lokalen platziert, darunter Nutzungen durch Kunst, Kultur, Vereine, bürgerschaftliches Engagement, Wissenschaft, Pop-Up-Stores, Begegnungsstätten, Manufakturen, Bildung, Repaircafés, Museen, Kreativwirtschaft, Co-Working Spaces oder Shared Spaces.

Eine Förderung von Start-Ups, die die Lokale anmieten könnten, gewähren aber nur 5 % der Kommunen, und lediglich 2 % betreiben eine aktive Förderung von Ansiedlungen. Auch eine aktive, aufsuchende Beratung von Einzelhändlern, wie sie die Attraktivität ihres Geschäfts steigern könnten, bleibt Ausnahme.

Schwerpunkte bilden dagegen prozedurale Maßnahmen wie die Einrichtung eines gezielten Citymanagements (32 %), eines Verfügungsfonds (30 %), eines Steuerungsgremiums (22 %) oder von Bürgerbeteiligungen in unterschiedlichsten Formaten (18 %). Naheliegende Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Innenstädte wie die Verbesserung der Aufenthaltsqualität (14 %) oder die Verbesserung des Stadtbilds (10 %) werden dagegen immer noch erstaunlich selten durchgeführt.

Darüber hinaus gibt es jeweils nur wenige Kommunen, die Maßnahmen durchführen, die durchaus zu einer Neuerfindung der Zentren beitragen könnten. Die Verbesserung von Grün- und Freiflächen findet nur sehr selten statt; ebenso nutzen nur 12 von 238 Kommunen die Förderung, um ihre Zentren an den Klimawandel anzupassen – was ebenfalls zur Attraktivitätssteigerung beitragen könnte.

Ganz selten werden touristische Attraktionen ins Visier genommen, um die Innenstädte zu beleben, und auch die Gastronomie sowie Kunst und Kultur werden vernachlässigt, die ebenfalls Menschen in die Zentren bringen. Nur sieben Städte (3 %) sehen in Manufakturen und Markthallen für regionale Produkte eine Chance, obgleich der stationäre Handel gerade mit solchen Produkten und entsprechendem sinnlichen Erleben gegenüber dem Internethandel punkten könnte.

Interessant sind die acht Städte Altenburg, Frankfurt am Main, Essen (Oldenburg), Homburg (Saarland), Höhr-Grenzhausen, Lörrach, Riedlingen und Riesa, die innovative wirtschaftliche Organisationsformen schaffen wollen, um Investitionen anzuregen und langfristige Leerstände umzunutzen, beispielsweise durch Solidargemeinschaften, Genossenschaften, Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG), Business Improvement Districts oder, in einem Fall, ein „Mietsyndikat“. Und es gibt nur zwei Städte, die die Idee aufgreifen, das Angebot an attraktiven bezahlbaren Wohnungen in der Innenstadt zu fördern, um mehr Leben in die Zentren zu bekommen.

Professor Dr. Volker Eichener, Stadtforscher an der Hochschule Düsseldorf, kommentiert die Ergebnisse der Analysen von Aengevelt Research: „Es ist erstaunlich, dass es mehrere Jahrzehnte brauchte, bis sich Kommunen dazu entschließen konnten, die Ladenlokale, die teilweise schon seit vielen Jahren leerstehen, anzumieten, um sie neuen Nutzungen zuzuführen. Eine Zwischennutzung als Atelier, Lernraum oder Begegnungsstätte ist allemal sinnvoller als ein Leerstand, der das Stadtbild verschandelt. Auf der anderen Seite jonglieren viele Kommunen aber auch mit modischen Konzepten wie ,Reallaboren‘, von denen nur bescheidene Effekte erwartet werden können. Angesichts der Krise unzähliger Stadteilzentren und Innenstädte müssen die Kommunen jetzt endlich in Zusammenarbeit mit der ausgesprochen publikumsnahen Immobilienwirtschaft durchstarten, um endlich alle verfügbaren Ideen und Konzepte umzusetzen.“

Aengevelt Research verweist anhand fortlaufender Analysen seit Jahren auf die komplexen immobilienwirtschaftlichen Problematiken, die sich aus dem Rückzug des Einzelhandels ergeben. Den Eigentümern entgehen durch Leerstände nicht nur Pachteinnahmen, sondern erhebliche Kapitalisierungseinbußen sind die Folge, die ihre Fähigkeiten, die Immobilien zu ertüchtigen oder Investitionen vorzunehmen, weiter vermindern. Anmietungen durch die öffentliche Hand oder durch Genossenschaften können die Abwärtsspirale durchbrechen und die Passantenfrequenz wieder steigern. Letztlich, so die Forscher, sei es eine „Win-Win-Situation“ für Handelsimmobilieneigentümer und Bevölkerung, wenn die Stadtzentren vor dem Niedergang bewahrt werden und ihre Attraktivität zurückgewinnen.










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