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09.08.2022 Regimewechsel belasten die deutsche Wirtschaft

Immer wieder war in den letzten Jahren von verschiedenen Zeitenwenden die Rede. Schon lange wird auf eine älter werdende Gesellschaft im Rahmen des demografischen Wandels hingewiesen. Dazu kam die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf bestehende Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle. Zuletzt wurde intensiv die Dekarbonisierung, also die Entkopplung der Mobilität und der Produktion vom Verbrauch fossiler Energierohstoffe, diskutiert. Seit der Amtszeit Donald Trumps als US-Präsident deutete sich das Ende der Globalisierung an, was durch die Eskalation des Ukrainekriegs noch offensichtlicher wurde. Russlands aggressives Agieren hatte die Auflösung der sogenannten Friedensdividende zur Folge, von der Deutschland besonders stark profitierte.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs öffneten sich für deutsche Unternehmen nicht nur riesige neue Absatzmärkte. Darüber hinaus konnten sie die lohnintensive Produktion in osteuropäische Länder auslagern, dort günstige Rohstoffe einkaufen und in den Westen transportieren. Der Krieg in der Ukraine hat die steigenden Inflationsraten mit explodierenden Rohstoff- und Energiepreisen seit Februar mit befeuert, was einen weiteren Trend der letzten Dekade beendet hat: die immer tiefer sinkenden Zinsen.

Von allen Regimewechseln ist die deutsche Volkswirtschaft erheblich betroffen, auch weil das Erfolgsmodell der exportorientierten Industrie mit einem Schwerpunkt auf hochwertige Fahrzeuge, Anlagen, Maschinen und Chemieprodukte seit Jahrzehnten nahezu reibungslos funktionierte. Dem Erfolg dieser Strategie steht heute das Versäumnis im Weg, rechtzeitig die Weichen für die Zukunft zu stellen. Die Schwächen werden heute nicht nur aufgrund der Abhängigkeiten von einzelnen Rohstofflieferanten und den, bis zum globalen Lockdown, maximal effizienten globalen Lieferketten offensichtlich. Nun droht der Wegfall weiterer wichtiger Absatzmärkte, wenn sich die geopolitische Lage zwischen China und Taiwan weiter zuspitzt und auch die chinesischen Handelsbeziehungen sanktioniert werden müssen. Unübersehbar ist zudem, dass nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa den Anschluss an die Entwicklung der Internet-Technologie verloren hat.

Angesichts der vielfältigen Zeitenwenden und Krisenherden ist eine wirtschaftliche, politische und möglicherweise auch gesellschaftliche Erneuerung zwingend notwendig. Anstatt immer weiter kurzfristig auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, brauchen wir ein klar umrissenes Zielbild und die Wegbeschreibung zu einer modernen und wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft, die auf demokratischen und marktwirtschaftlichen Grundsätzen basiert. Ein solches Modell hätte im internationalen Systemwettbewerb mit der zunehmenden Anzahl an Autokratien zudem eine klare Signalfunktion.
Ihr Carsten Mumm

(Kommentar von: Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL)









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