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27.08.2024 Warum wir keine Sozialwohnungen mehr bauen (wollen und können)

Europakarree-Erfurt. Quelle: WOHNGROUP
Tobias Schallert, Geschäftsführer des Unternehmens WOHNGROUP aus Erfurt kommentiert den Behörden-Marathon, die fehlenden Zahlungen, übergenaue Prüfungspraxis und unverhältnismäßig hohe Einbehalte:

Die WOHNGROUP realisiert zurzeit mit dem Europakarree-Erfurt eines der größten Wohnbauvorhaben in Thüringen. Insgesamt entstehen bis 2027 über 470 Wohnungen. In zwei Bauabschnitten wurden auch fast 100 sozial geförderte Wohnungen bereits fertiggestellt. „Unsere Planungen reichen weit zurück, wir haben uns weit vor dem Erfurter Baulandmodell als Privatinvestor freiwillig dafür entschieden“, sagt Tobias Schallert, Geschäftsführer der WOHNGROUP. Seine Bilanz: „Wir können in Zukunft keine Sozialwohnungen mehr bauen. Die negativen Erfahrungen mit dem Verwaltungshandeln bringen uns einfach zu hohe Risiken.“

Das Förderprogramm des Freistaates Thüringen zum Bau von Sozialwohnungen erschien anfänglich attraktiv. Allerdings folgten überlange Bearbeitungszeiten, übergenaue Prüfungen sowie ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Einbehalte. „Das führt zu einer hohen Unsicherheit und zu einer wirtschaftlichen Gefahr. In der momentanen Krise des gesamten Immobilienmarktes gewinnen diese Faktoren zusätzlich an Bedeutung. Es ist ein Drama in mehreren Akten“, so Tobias Schallert. „Leider ist dies kein Einzelfall, weil auch andere Marktteilnehmer von ähnlichen Problemen berichten.“

Im ersten Bauabschnitt mit 43 Sozialwohnungen wurde die Schlussabrechnung Ende 2022 eingereicht. „Als sich wegen der Schlussrate über 300.000 Euro im Herbst 2023 immer noch nichts tat, haben wir nachgefragt. Zuerst direkt beim Landesverwaltungsamt und dann auch bei der Landtagsabgeordneten des Wahlkreises, beim Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL), bei der Thüringer Aufbaubank und sogar beim Ministerpräsidenten. Der Tenor war überall gleich: Personalmangel, Krankenstand, Umorganisation. Es gehe streng nach Posteingang und genaue Aussagen könne man nicht machen. Ende 2023 reichten wir dann eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht ein. Im Anschluss kam die Aussage, dass man voraussichtlich Mitte Februar zur Bearbeitung kommen würde. Im März verfügte das Gericht, dass die Abrechnung bis Mitte Juli zu erstellen sei. Ende Juli mahnte das Gericht nochmal die Abrechnung an. Schlussendlich erreichte uns der Bescheid dann am 12. August 2024 und wir erhielten nach 20 Monaten die 300.000 Euro. Das bedeutet auch: 20 Monate nachdem wir alle Handwerkerrechnungen bezahlt haben. Zwischenzeitlich sollten wir noch Mietverträge wegen Abweichungen bei der Mietfläche von der Planung zur Ausführung zwischen 0,15 und 2,79 Prozent ändern, obwohl selbst der Bundesgerichtshof aus Gründen der Praktikabilität bis zu zehn Prozent als tolerabel einstuft.“

Der zweite Bauabschnitt mit 54 Wohnungen wurde kürzlich bezugsfertig, 43 Wohnungen sind bereits bezogen, die Vollvermietung wird Anfang Oktober 2024 erreicht. „Wenn wir uns hier den Ablauf ansehen, stellen wir fest: Verwaltung und Politik handeln zu langsam und zu kompliziert. Auch wegen der gestiegenen Baukosten mitten in der Bauphase 2023 haben wir uns um eine Nachförderung bemüht. Zuerst hieß es, dass dies nicht möglich sei, später gab es keinen freigegebenen Haushalt. Nach vielem Hin und Her wurde schlussendlich eine Lösung erarbeitet, nur ließ die mehr als ein halbes Jahr auf sich warten und war mit schier endlosem Nachfragen verbunden. Aktuell haben das Landesverwaltungsamt und die Thüringer Aufbaubank die vorletzte Auszahlungsrate des Förderdarlehens zur Bezugsfertigkeit um 500.000 Euro gekürzt.

Der Grund: Unterschreitungen von notwendigen Maßen zur Barrierefreiheit in 27 Bädern um drei Zentimeter (117 statt 120 Zentimeter bei Abständen im Badbereich) und ein fehlender zweiter Handlauf im Treppenhaus im Wert von etwa 20.000 Euro, den wir nachrüsten. Eine Stellungnahme eines auf Barrierefreiheit spezialisierten Gutachters bestätigt, dass die DIN unerhebliche Maßabweichungen zulässt und stuft die Abweichungen als unerheblich ein. Die barrierefreie Nutzungsmöglichkeit ist gegeben, Sinn und Zweck der Norm erfüllt. Trotzdem soll an der Kürzung festgehalten werden, was für uns unverständlich und die Höhe der Kürzung vollkommen unverhältnismäßig ist. Deshalb haben wir einen Termin beim Staatssekretär des zuständigen Ministeriums angefragt. Die Schlussabrechnung für diesen Bauabschnitt reichen wir in den kommenden vier Wochen ein, wobei hier die Schlussrate etwa eine Million Euro beträgt. Wir rechnen auch hier mit einer Bearbeitungszeit von etwa zwei Jahren. Stand heute läuft es also deshalb auf ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht über dann insgesamt anderthalb Millionen Euro hinaus.“

Tobias Schallert zieht Bilanz, sein Fazit: „Unsere insgesamt fast 100 Sozialwohnungen sind fertig, die Handwerkerrechnungen bezahlt und die Mieter eingezogen. Die barrierefreie Nutzung ist gegeben. Wir als mittelständisches Unternehmen haben geliefert und unseren Teil für die Stadtgesellschaft beigetragen. Nachdem uns fast 20 Monate 300.000 Euro nicht ausgezahlt wurden, fehlen uns aktuell wegen ausbleibender staatlicher Zahlungen etwa anderthalb Millionen Euro Liquidität für Monate, eventuell sogar Jahre. Dazu kommen hohe eigene Aufwendungen und zusätzlich Anwaltskosten, um die Zahlungen dennoch zu erhalten. Die fehlende Liquidität verlangsamt unsere anderen Projekte im Wohnungsbau. Das kann ja nicht der Sinn von Förderungen sein. Verwaltungshandeln sollte nicht einem Selbstzweck, sondern den formulierten Förderzielen dienen. Die verantwortlichen Behörden sind gehalten pflichtgemäß ihre Ermessungsspielräume zu nutzen, was sie hier unserer Meinung nach nicht tun. Aus unserer Sicht handelt es sich hier sogar um einen Ermessensfehlgebrauch. Die bittere Schlussfolgerung für uns lautet: Wir bauen keine Sozialwohnungen mehr.“

Zur Erinnerung: Die Genehmigungen für den Bau von Wohnungen in Deutschland sind im ersten Halbjahr 2024 wieder eingebrochen. Sie fielen von Januar bis Juni um 21,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, gemessen am Juni 2022 waren das sogar 42,1 Prozent weniger. Hohe Finanzierungs- und Baukosten gelten als Gründe für den Abwärtstrend. Branchenverbände klagen zudem seit langem über zu viel Bürokratie. Die Branche befindet sich in einer historischen Krise.

























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