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17.09.2015 Warum wir Flüchtlinge im Leerstand unterbringen sollten und wie das funktionieren könnte

Derzeit wird erwartet, dass allein im laufenden Jahr rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden. Die Not in den Herkunftsregionen ist groß, sonst würden die Menschen nicht ihr Leben und das ihrer Kinder auf der Flucht riskieren. Die empirica ag mit Dr. Reiner Braun veröffentlicht folgendes dazu:

Dieses neue empirica-Papier kann die Ursachen der Flucht nur zur Kenntnis nehmen, aber nicht lindern. Gleichwohl soll es Anregungen liefern, wie das Leid zumindest derjenigen Menschen gelindert werden kann, die den Weg nach Deutschland bereits gefunden haben. Die Rede ist von denen, die hierzulande in Sammelunterkünften, Turnhallen und anderen Provisorien leben. Dabei kann es sich naturgemäß nur um kurzfristige Übergangslösungen handeln. Deswegen wollen wir die Optionen analysieren, wie die Zuwanderer mittel- und langfristig untergebracht werden können. Nüchtern betrachtet gibt es dabei drei Alternativen: provisorische Zweckbauten (Container, Zeltstädte, einfache Konstruktionen), Wohnungsneubau oder Wiedernutzung von Wohnungsleerständen. Die Optionen unterscheiden sich insbesondere in qualitativer und regionaler Hinsicht, aber natürlich auch in ihren kurz- und langfristigen Kosten sowie in ihrer zeitlichen Realisierung.

Wohnungsmarktrelevanz der Flüchtlinge

Derzeit ist noch vieles unklar. Das betrifft zum einen das mengenmäßige Ausmaß: wie viele Flüchtlinge kommen, wie viele davon werden anerkannt und bleiben zumindest mittelfristig, wie viele werden endgültig oder zumindest langfristig in Deutschland wohnen.

Unklar ist aber auch die qualitative Wohnungsnachfrage, also wie die neuen Mitbürger langfristig wohnen werden bzw. wohnen wollen. Welcher Anteil wird von Trans-fers leben und eher auf das untere Wohnungsmarktsegment angewiesen sein – wie stark wird sich also die Konkurrenzsituation zwischen den Geringverdienern verschärfen? Welcher Anteil wird dagegen aufgrund guter Ausbildung, schnell erlernter Deutschkenntnisse und zügiger Arbeitserlaubnis eher im mittleren Segment eine Bleibe finden oder gar ein Eigenheim suchen – ein Weg, den z.B. viele Spätaussiedler aus Russland in den 1990er Jahren eingeschlagen haben und durch gegenseitige Unterstützung bei Bau oder Sanierung auch erfolgreich gegangen sind.

Regionale Aufteilung der Flüchtlinge

Neben Menge und Qualität ist aber drittens auch unklar, wo die zusätzlichen Wohnungen gebraucht werden. Ohne gezielte Anreize dürfte die Verteilung vermutlich den allgemeinen Trends der Binnenwanderung folgen. Gerade die sollten aber nicht als Leitbild dienen. Denn dann würde es in den attraktiven Stadtregionen noch teurer und Wohnraum dort noch knapper werden. Es ist schon heute eine volkswirtschaftliche Verschwendung in Milliardenhöhe, wenn als Folge der Binnenwanderung aus den ländlichen Regionen, aber auch aus vielen Städten wie etwa im Ruhrgebiet mehr und mehr Wohnungen leer stehen, aber die spiegelbildlich entstehen-den Engpässe in den attraktiven Stadtregionen gleichzeitig auf knappem Bauland teuer beseitigt werden.

Tatsächlich gibt es laut Zensus 2011 in Deutschland rund 1,7 Mio. leer stehende Wohnungen, davon 1,1 Mio. allein in Westdeutschland (z.B. 213 Tsd. in Bayern, 299 Tsd. in NRW). Daran hat sich zwischenzeitlich wenig geändert, denn allein in den Wachstumsregionen sinkt der Leerstand, während die Quote anderswo trotz Abrissprogrammen allenfalls stagniert. Durch die Flüchtlinge ergibt sich nun die ein-malige Chance, die Leerstände in den Schrumpfungsregionen wieder mit Leben zu füllen.

Nun mag man einwenden, dass die Deutschen nicht grundlos vom Land flüchten. Aber erstens sind in allen ländlichen Räumen in den letzten Jahren zum Teil sogar überproportional viele Arbeitsplätze neu entstanden – auch in Ostdeutschland. Zum zweiten entstehen dort mittlerweile gerade wegen der Abwanderung erste Fachkräftemängel etwa in den Bereichen ärztliche Versorgung, Altenpflege oder im Handwerk.

Und zweitens kann man durch gezielte Anreize den Flüchtlingen das Leben dort schmackhaft machen. Denn drittens würde man viel Zeit und Geld sparen, wenn man preiswerte und leer stehende Wohnungen revitalisiert anstelle neue Wohnun-gen auf knappem und teurem Bauland neu zu errichten. Ganz zu schweigen von der schnellen Verfügbarkeit guten Wohnraums gerade für Familien.

Schlüsselpersonen und Anreize für das Wohnen auf dem Land

Alles aber steht und fällt damit, dass die Zuwanderer auch bereit sind, sich dauerhaft auch in ländlichen Regionen niederzulassen und zu integrieren. Im Unterschied zur deutschen Bevölkerung, die seit einigen Jahren massenhaft vom Land in attraktive Städte flüchtet, gibt es oder kann es für Immigranten schlagkräftige Argumente für das Landleben geben: schneller Umzug von der anonymen Massenunterkunft in eine individuelle Privatwohnung und zügige Erteilung einer Arbeitserlaubnis. So könnte man speziellen Schlüsselpersonen (z.B. Ärzten, Krankenschwestern, Altenpflegern, Handwerker etc.) einen Fast-Track anbieten: Sofort eine Wohnung in Wunsiedel (Bayern), Hersfeld-Rotenburg (Hessen), Pirmasens (Rheinland-Pfalz) Steinburg (Schleswig-Holstein) oder in der Prignitz (Brandenburg), ein 3-6 monatiger Crash-kurs in Deutsch und eine sofortige Arbeitserlaubnis. Ein Praktikum im zukünftigen Betrieb während der Sprachausbildung dürfte vieles erleichtern.

Karte: Regionale Leerstände in Deutschland 2011 und Prognose 2025
Wenn zudem vorrangig Familien mit Kindern diesen Weg beschreiten, dann dürfte auch die Integration in das Dorf- und Kleinstadtleben meistens gelingen. Schon heute wird uns von Flüchtlingsfamilien berichtet, die morgens in einem Dorf ankommen und schon am gleichen Tag sind die Jungs beim Fußballtraining. Die benötigten Fußballschuhe finden sich. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass die Kontaktkraft der Kinder in Kombination mit einem überschaubaren Umfeld, in der jeder jeden kennt und schnell kennenlernt, optimale Bedingungen für die Integration bieten. Da zudem in allen schrumpfenden Regionen auch leerstehende Einfamilienhäuser exis-tieren, bietet sich für die ehemaligen Flüchtlingsfamilien auch eine schnelle Chance auf einen wohnlichen Aufstieg. Spätestens dann bleiben sie auch. Eine Bevorzugung der Familien mit Kindern halten wir für völlig angemessen: sie müssen schnell raus aus den Massenunterkünften und brauchen endlich wieder stabile Verhältnisse.

Ziel dieses Verfahrens wäre eine überproportionale Verteilung der Zuwanderer über alle Schrumpfungsregionen. Dadurch wird zum einen keine der betroffenen Region mengenmäßig überfordert. Und zum anderen gelingt Integration besser und schneller, wenn sie in kleineren Gruppen und kleineren Gemeinden als massenhaft in anonymen Großstädten stattfinden soll.

Fazit: Zwei Fliegen mit einer Klappe

Der Neubau von Wohnungen braucht Zeit. Selbst bei zügiger Planung und Genehmigung vergehen schnell zwei oder drei Jahre bis zur Fertigstellung einer soliden Wohnung. Diese Zeit haben wir nicht. Container, Zeltstädte und andere einfache Wohnkonstruktionen sind kurzfristig unumgänglich. Schnell aber werden „richtige“ Wohnungen benötigt. Noch so hohe steuerliche Anreize und noch so große Sozialwohnungsprogramme werden nicht schnell genug Wohnungen bereitstellen können – allein schon weil es an Bauland mangelt und die Bauwirtschaft bereits heute über-ausgelastet ist. Außerdem zeigen die Erfahrungen der 1990er Jahre, dass eine befeuerte Baukonjunktur mit vielen Bausünden und Baumängeln einhergeht – vor allem dann, wenn zusätzliche staatliche Förderprogramme Investoren auf den Plan rufen, die die Präferenzen der Nachfrager nicht kennen und deswegen die falschen Objekte am falschen Ort errichten und so den Leerstand von Morgen produzieren.

Eine Revitalisierung des ländlichen Raumes mit Hilfe der ankommenden Flüchtlinge mag in der Praxis schwieriger sein, als hier skizziert. Sie kann aber in jedem Falle schneller und preiswerter die Wohnraumversorgung sicherstellen als massenhafter und langwieriger Neubau in den jetzt schon engen und teuren Stadtregionen. Die Umkehrung der Landflucht wird gleichzeitig eine milliardenfache Entwertung von Wohnungen und Infrastruktur in den ländlichen Regionen abmildern und im Ideal-fall zusätzlich die Nahversorgung mit Dienstleistungen und Gütern des täglichen Bedarfs dort verbessern. Vor allem aber wird die Integration der Flüchtlinge besser gelingen, als wenn sich große syrische Gemeinden in den deutschen Großstädten bilden in denen dann aus deren Sicht auf Jahre hinaus ein Integrationserfordernis kaum mehr besteht, weil im Alltag die deutsche Sprache kaum benötigt wird.
Wir sollten es auf einen Versuch dringend ankommen lassen! Familienväter und -mütter mit ausgewählten Qualifikationen wird eine bevorzugte Bearbeitung ihrer Anträge zugesichert, erhalten schnell und bevorzugt Wohnungen im ländlichen Raum zugewiesen, werden bevorzugt besonders intensiv in Deutsch unterrichtet und bekommen schnell eine Arbeitserlaubnis. Die ländlichen Kommunen und ihre ortansässigen Arbeitgeber sollen hier auch selbst aktiv den Kontakt zu geeigneten Kandidaten suchen. Wenn schrumpfende Städte und Gemeinden diese Chance verpassen und ihre Schulen demnächst schließen, dann ist ihnen buchstäblich nicht mehr zu helfen.



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