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01.10.2015 Berlin startet erst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung voll durch

"Berlin soll die Werkbank der Wiedervereinigung sein", hatte 1993 der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gefordert.
Es kam anders, als es sich Politik und Volk damals in der Euphorie nach dem Mauerfall vorgestellt hatten. Denn erst 25 Jahre nach der Wiedervereinigung startet die Hauptstadt Berlin richtig durch.

Noch heute ist das Berlin der Wendezeit zu finden: Zum Beispiel in den westlichen Bezirken wie Charlottenburg hat die Stadt ihr Gesicht nicht verändert. Rund um die Gründerzeithäuser prägen seit Jahrzehnten ähnliche Geschäfte das Leben auf der Straße, das hat die traditionelle Atmosphäre bewahrt. Im Umkreis der Gedächtniskirche, in Mitte und in vielen Bereichen Ostberlins sieht das hingegen ganz anders aus. Am dramatischsten ist der Wandel am Potsdamer Platz zu sehen. Das Stadtbild hat sich deutlich verändert - negativ wie positiv.
Nimmt man den Hackeschen Markt, dann muss man sagen: Welch ein Glück, dass er im Osten lag. Im Westen wäre nicht auszuschließen gewesen, dass er in den 50er- und 60er-Jahren zugunsten einiger Bausünden hätte weichen müssen. Dafür fehlte der DDR das Geld. Das Objekt vergammelte zwar, bewahrte sich aber seinen Berliner Charme, bis es nach der Wende restauriert und zu einem der zentralen Punkte der Stadt wurde.

Was sich nach einem Selbstläufer anhört, war allerdings das genaue Gegenteil. Viele, darunter auch ich, hatten Anfang der 90er-Jahre gedacht, dass in Berlin jetzt die Post abgeht. Wir hatten uns von der Euphorie mitreißen lassen. Doch es fehlten gesunde Strukturen und vor allem Kaufkraft. Darauf musste man erst einige Jahre warten.
Es gab eine gewisse Wendeeuphorie, aber der Immobilienmarkt konnte das Tempo der politischen Veränderungen nicht mitgehen. Viele, die in den ersten Jahren investierten, hatten sich am Ende verhoben, weil sie auf eine wirtschaftliche Entwicklung gesetzt hatten, die einfach nicht eingetreten ist. Über Jahre nicht.

Dass es in den Jahren nach der Wende rund 100 Großprojekte in Berlin gab, konnte keinen nachhaltigen Schub geben. Nehmen wir als Beispiel den Potsdamer Platz, dort hat Daimler gebaut. Konzernchef war Edzard Reuter, Sohn des ehemaligen Bürgermeisters Ernst Reuter. Auch Sony hatte Verbindungen nach Berlin, weil der Konzernchef dort studiert hatte. Der politische Druck auf die Konzerne, in Berlin zu bauen, war sehr hoch - unabhängig davon, ob es wirtschaftlich sinnvoll war. Viele haben sich dann später wieder mit Millionenverlusten von ihren Objekten trennen müssen.

Diese Entwicklung lässt sich in einige Phasen einteilen: Die Euphorie hielt etwa bis 1995 an. Doch dann folgte schnell die Ernüchterung: Zwar zogen Politik und Verwaltung in die neue Hauptstadt, aber eine gesunde Mittelschicht fehlte nach wie vor. Der Immobilienmarkt kam nicht in Schwung und erreichte 2003 seinen Tiefpunkt, als kaum noch Transaktionen abgeschlossen wurden - wie übrigens im gesamten Bundesgebiet. 2008 gab es dann nach der Lehman-Pleite einen erneuten Rückschlag, von dem sich Berlin diesmal allerdings relativ schnell wieder erholte. Aber einen soliden, eigenen wirtschaftlichen Aufbruch erleben wir erst seit zwei bis drei Jahren - von Start-ups getragen.

Woher kommt der aktuelle Optimismus? Berlin hat seine eigene Anziehungskraft entwickelt. Mittlerweile glauben viel mehr Menschen an die wirtschaftliche Zukunft der Stadt, was sich wiederum positiv auf die demografischen Daten auswirkt. Derzeit sind in Berlin viele attraktive Stellen verfügbar. Statistiker gehen davon aus, dass in den kommenden drei Jahren etwa 150.000 Menschen zuziehen werden. Das stärkt den Immobilienmarkt zusätzlich.

Zudem sind die Mieten noch weit unter dem, was in international vergleichbaren Städten gezahlt wird. Das sorgt für eine riesige Dynamik im Büro-, aber auch im Wohnbereich. Allein im Wohnbereich wurden in Berlin im vergangenen Jahr acht Milliarden Euro ausgegeben. Aber bis dahin war es für Berlin ein langer Weg.
Doch der hat sich gelohnt, denn die Entwicklung ist diesmal solider, weil mehr mit Eigenkapital gearbeitet wird. Investoren wie zum Beispiel internationale Staatsfonds sorgen für finanzielle Stabilität. Zugleich sind die Mieten in einem sehr vernünftigen Maß. Ein Beispiel: Im Wohnbereich liegt die Durchschnittsmiete bei neun Euro - deutlich unter der in München oder Frankfurt.

Einen zusätzlichen Entwicklungsschub wird es geben, wenn der internationale Großflughafen in Betrieb geht. Denn Erreichbarkeit ist das Topkriterium für internationale Konzerne. Deshalb sind sie derzeit in Frankfurt, München und Düsseldorf mit ihren Niederlassungen. Wenn Berlin direkt zu erreichen ist, wird sich das grundlegend ändern. Dann werden auch weitere Arbeitsplätze geschaffen und es wird noch mehr Geld in der Stadt investiert. Und vor allem werden dann auch die Touristen kommen, zum Beispiel aus Südostasien, für die ein Abstecher nach Berlin auf ihrer Europareise derzeit noch zu aufwändig ist.

(Statement von Rüdiger Thräne, Mitglied im Management Board JLL Deutschland und Niederlassungsleiter JLL Berlin)




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