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04.11.2016 Modernes Bauen bedeutet nicht immer gesundes Wohnen

Eine Leitlinie unter Ingenieuren und Architekten heutzutage ist, Gebäudehüllen so zu konstruieren, dass sie einen möglichst niedrigen Energiebedarf aufweisen. Das ist im Wesentlichen politischen Energiesparzielen geschuldet, denn Bauen ist mittlerweile vorrangig dem Klimaschutz verpflichtet. Was der Atmosphäre zugutekommen soll, garantiert aber oftmals nicht die Gesundheit der Bewohner. Im Gegenteil: Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass im Wohnungsbau die Fokussierung auf Einsparpotenziale mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist.

Es gibt zahlreiche Vorschriften und Normen, wie Neubauten zu errichten sind. Seit Anfang des Jahres sind mit der aktuellen Energie-Sparverordnung noch einige hinzugekommen. Die Politik macht Druck für den Klimaschutz. Die Häuslebauer müssen dafür immer tiefer in die Tasche greifen. Zum Ausgleich für diese Aufwendungen winken Förderkredite, steuerliche Erleichterungen und Tilgungszuschüsse. Zudem steht in Aussicht, dass sich die Investitionen durch den niedrigen Energiebedarf langfristig wieder amortisieren werden.

Klimaschutz im Bauwesen hat nicht nur einen monetären Preis

Moderner Wohnungsbau bedingt automatisch, dass ein natürliches Innenraumklima mit Hilfe technologischer Systeme erzeugt werden muss. Leider fokussiert man sich hier zu einseitig auf Energieeinsparungen und vergisst, dass ein Gebäude primär dem Schutz und Wohlbefinden der Bewohner dienen soll. Diese einseitige Ausrichtung geht auch auf Kosten der Gesundheit, denn das Dämmen, Abschotten und Versiegeln bedeutet unweigerlich, dass Gebäudehüllen fast bis zur Luftdichtigkeit verschlossen werden. Damit verschlechtert sich aber meist auch das Raumklima – vor allem im Winter: Mit Beginn der Heizperiode, wenn Türen und Fenster nur selten geöffnet werden, sinkt die relative Luftfeuchtigkeit oftmals bis unter 20 Prozent und damit auf ein in Wüsten übliches Niveau. Trockene Raumluft ist aber der Feind der Schleimhäute: Sie mindert deren natürliche Schutzfunktion bis hin zum völligen Versagen. In gleichem Maße steigt das Risiko einer Infektion durch Luftübertragung von Krankheitserregern. Denn der Mensch teilt die Raumluft nicht nur mit Mitbewohnern und Kollegen, sondern auch mit unzähligen Schwebepartikeln, darunter Viren, Pilzsporen und Bakterien. Sind die Schleimhäute erst einmal trocken, ist die Gefahr einer Ansteckung hoch.

Jahrzehntealte Erkenntnisse zur Luftfeuchtigkeit bleiben unberücksichtigt
Bereits vor rund 60 Jahren legte die als „Kindergartenstudie“ bekannt gewordene Untersuchung des deutschen Arztes Günther Ritzel dar, dass eine künstliche Luftbefeuchtung die Infektionen der Atemwege bei Kindern um die Hälfte senkt. Die Weltgesundheitsorganisation schrieb 1968 fest, dass für die Gesundheit der Menschen die Luftfeuchte zwischen 30 Prozent und 60 Prozent liegen sollte. Bis Mitte der 80er Jahre kamen diverse klinische Studien zum selben Ergebnis. Seitdem ist unstrittig, dass trockene Raumluft virale und bakterielle Infekte, die Erkrankung der Atemwege und allergische Reaktionen fördert.

Es ist bestenfalls auffällig, dass der verengte Blick auf energetische Einsparpotenziale die medizinischen Aspekte der Luftraumfeuchte fast vollständig ausblendet. Offenbar sind die menschlich-biologischen Wechselwirkungen und ihre Folgen in Zeiten von Energiekrise, Klimawandel und Nachhaltigkeit wenig opportun. Nicht leugnen lässt sich hingegen der Anstieg der sogenannten Zivilisationskrankheiten. Zwar ist ein Zusammenhang zwischen einem während der Heizperiode monatelangen Leben in wüstenähnlicher Trockenheit und derartigen Erkrankungen nicht unmittelbar nachweisbar, allerdings gelten „Risiko-Umweltfaktoren“ allgemein als plausibelster Ansatz für deren Anstieg. Da der Mensch insbesondere in den kalten Monaten bis zu 90 Prozent der gesamten Zeit in geschlossenen Räumen verbringt, rückt vor allem das Wohn- und Arbeitsumfeld in den Fokus. Dort teilt er das größte soziale Medium, die Luft, mit seinesgleichen – mit allen möglichen negativen Auswirkungen. Folglich sollten sämtliche altbekannten Faktoren für ein ideales Raumklima beim Wohnungsbau von herausragender Bedeutung sein. Doch tatsächlich sticht das klimapolitische Diktat gesundheitliche Aspekte aus.

Untergrenzen zur Luftfeuchtigkeit für Labormäuse, nicht aber für Menschen
Das treibt skurrile Blüten: Fahrlässig mutet es an, wenn Krankenhäuser ihre vorhandenen Luftbefeuchtungstechnologien nicht einsetzen, um die CO2-Bilanz zu schönen. Selbst für das Halten von Labormäusen ist eine Untergrenze für Raumluftfeuchtigkeit festgeschrieben, die dem Menschen nicht vergönnt ist. Auch in Museen und Bibliotheken wird ausgereifte Technik installiert, um Kunstwerke dank optimaler Luftfeuchte vor dem Verfall zu bewahren. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, vor allem aus den Bereichen der verarbeitenden Industrie, bei denen erprobte Technologien zur Luftbefeuchtung angewendet werden. Von Obst bis Papier, von Fashion bis Tabak – allein das Schweizer Unternehmen Condair, Weltmarktführer in der Luftbefeuchtung, bedient mit seinen technologischen Lösungen die Anforderungen von über 15 Industriezweigen. Doch was für Wurst und Wein recht ist, ist für den Menschen noch lange nicht billig. Aus medizinischer Sicht ist es daher ein fahrlässiges Versäumnis, dass im Wohnungsbau bis heute keine oder zu niedrige Untergrenzen für die Raumluftfeuchte verbindlich vorgeschrieben sind. Nach neuesten Erkenntnissen der Medizin sollte diese bei 40% relative Luftfeuchtigkeit angesetzt werden.




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