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01.02.2017 Offener und redlicher Diskurs bei Nachtragsvergütungen

Nachträge sind in der heutigen Baupraxis gang und gäbe. Die dazugehörigen Grundlagen zur Preisbestimmung haben sich längst zu einer eigenen außergesetzlichen Rechtsmaterie entwickelt. Zumeist werden Nachtragsvergütungen auf Basis der sogenannten Korbion‘schen Formel ermittelt. Diese – hauptsächlich beim VOB/B-Werkvertrag angewandte – Preisfortschreibungsregel lautet: Guter Preis bleibt guter Preis und schlechter Preis bleibt schlechter Preis. „Das führt zu unsachgemäßen Ergebnissen, welche nicht die Realität der Nachtragsgegebenheiten wiederspiegeln“, sagt Dr. Paul Popescu, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht. Denn aufgrund der Regelung entscheidet allein die Auftragskalkulation des Bauunternehmers für die ursprünglich vorgesehenen Vertragsleistungen über die Höhe der nachträglichen Vergütung.

Beide Parteien können das Nachsehen haben. „Hat ein Bauunternehmer anfangs eher günstig, oder aus wettbewerbsgründen sogar zu günstig kalkuliert, hat er auch bei Nachträgen Pech gehabt“, erläutert Popescu die Problematik der Preisfortschreibungsregel. Denn die anfänglich kalkulierten Preiselemente werden beim Nachtrag einfach fortgeschrieben. Für die einzelnen Bestandteile der zusätzlichen Leistungen sind vergleichbare Vergütungspositionen der Auftragskalkulation anzusetzen. Im Streitfall kann die technische Vergleichbarkeit der Ausführungspositionen nicht vom Gericht selbst bewertet werden, sondern nur von einem von ihm zu bestellenden Sachverständigen. „Die Analyse bleibt im Einzelfall somit in einem gewissen Umfang dem Zufall überlassen, weil sie letztlich von der persönlichen Auffassung des jeweils beauftragten Sachverständigen und dem allein in seiner Hand liegenden Beurteilungsmaßstab abhängt“, so Popescu.

Elementarer Redlichkeitsgedanke verletzt?

Auf diese Weise wird die preisliche Entscheidung auf den gerichtlich bestellten Sachverständigen verlagert. Verfechter dieser Methodik der Preisfortschreibung argumentieren, dass sich alle Beteiligten vor Beginn des Auftrags schon einmal mit den Vergütungsgrundlagen einverstanden erklärt haben. Demnach würde nichts dagegen sprechen, diese Grundlagen auch bei späteren Nachträgen anzuwenden. „Aus meiner Sicht widerspricht diese Auffassung jedoch dem elementaren Redlichkeitsgedanken des gesetzlichen Vertragsrechts. Denn die erst nach Vertragsschluss anfallenden Nachträge haben mit dem von beiden Parteien ursprünglich zugrunden gelegten Bauvorhaben und seinen Ausführungspositionen nichts zu tun“, unterstreicht Popescu.

Dem Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht zufolge bleibt bei dieser Form der Vergütungsberechnung einerseits unberücksichtigt, wie der Bauunternehmer beim Vertragsschluss kalkuliert hätte, wenn er alle Unwägbarkeiten sowie das gesamte Ausmaß des letztlich ausgeführten Bauvorhabens von Anfang an gekannt hätte. Andererseits werden die tatsächlichen Verhältnisse beider Parteien vor Ausführungsbeginn des jeweiligen Nachtrags gänzlich ausgeblendet. In Extremfällen kann das beispielsweise dazu führen, dass ein Bauunternehmer, der die vom Bauherrn anfänglich ausgeschriebenen Materialien aus einem anderen Bauvorhaben unentgeltlich gewinnt und mit 0,00 Euro kalkuliert, im Falle von Nachträgen an diesen Preis gebunden bleibt. Umgekehrt bleibt der Besteller an anfänglich spekulativ angebotenen, extrem hohen Preise des Unternehmers gebunden, welche die Grenzen der gesetzlichen Sittenwidrigkeit nicht erreicht haben und daher noch zulässig sind. „Das alles kann nicht sein und führt letztlich zu einer Willkür in der Bildung der Nachtragsvergütung“, sagt Popescu.

Neues Bauvertragsrecht verändert Preisfortschreibung

Im aktuellen, noch nicht verabschiedeten Entwurf des neuen Bauvertragsrechts ist die Nachtragshöhe beim BGB-Werkvertrag anders geregelt. Demnach kann sich ein Unternehmer im Zweifelsfall auf die ihm tatsächlich entstandenen Ist-Kosten berufen. Alternativ kann er zur Berechnung der Nachträge auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückzugreifen. Dabei wird vermutet, dass die auf Basis der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung den tatsächlichen Ist-Kosten entspricht. Ob das eine fairere Alternative darstellt, mag dahingestellt bleiben. Unklar ist momentan, ob die eingangs dargestellte Preisfortschreibungsregel beim VOB/B-Werkvertrag eine gesetzliche Privilegierung erfahren wird. Es bleibt sehr zu hoffen, dass das Gesetz von unausgewogenen und nicht dem wirklichen Willen der Vertragsparteien entsprechenden Vergütungsregelungen frei bleibt. Unabhängig davon: „Der Königsweg für die Vertragsparteien wird immer ein offener und redlicher Diskurs über die Vergütungshöhe der Nachtragsleistung lange Zeit vor deren Ausführungsbeginn bleiben“, so Popescu.




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