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25.04.2019 Europas Aktienmärkte – Zwei Einbahnstraßen in Folge

Die Börse ist keine Einbahnstraße. Und doch haben wir innerhalb von nur sechs Monaten am europäischen Aktienmarkt zwei Einbahnstraßen in Folge durchfahren – allerdings mit entgegengesetzten Richtungen. Zudem waren beide Quartale hoch emotional. Was können wir daraus für die kommenden Monate ableiten?

Ende Dezember war Angst das beherrschende Element: Die Sentiment-Indikatoren zeugten von extremer Zurückhaltung und am Optionsmarkt sahen wir Absicherungsquoten wie seit den unseligen Zeiten der Lehman-Pleite nicht mehr. Hatten viele Marktteilnehmer sich Anfang Oktober 2018 aufgrund der im Saldo bis dahin seitwärts verlaufenen Bewegung lediglich auf ein verlorenes Jahr eingerichtet, war es drei Monate später mit der Gelassenheit vorbei. Schlimmeres schien sich anzukündigen – obwohl keiner sich die Abwärtsbewegung erklären konnte.

Erfolgreicher Markt – mit nur wenigen Teilnehmern

Ergo machten zahlreiche Investoren die Schotten dicht. Und verpassten damit die aus ihrer Perspektive heraus geradezu wundersame Gegenbewegung der ersten drei Monate 2019. So steht Europas Aktienmarkt zwar heute auf dem Niveau, das er vor sechs Monaten hatte. Aber ein großer Teil der Investoren steht – noch immer – draußen. Und deren Frage lautet: auf Rücksetzer warten oder reingehen?

Hätte man diesen Anlegern zum Jahreswechsel ein Plus von zehn Prozent für 2019 versprochen: Die meisten hätten zugegriffen. Aber jetzt werden die Quartalsbilanzen gezogen. Und erster Rechtfertigungsdruck kommt auf. Soll man also, wenn man bislang nicht dabei war, auf eine günstige Gelegenheit hoffen? Oder war es das bereits für 2019?

Ursächlich für die Entwicklung seit Jahresbeginn sind unseres Erachtens zwei Faktoren gewesen: zum einen die von der EZB vor wenigen Wochen verkündete Botschaft, dass der ursprünglich für dieses Jahr angekündigte Zinsanstieg bis auf weiteres, also möglicherweise über 2020 hinaus, verschoben ist. Das führte zu einer nachhaltigen Neuorientierung der Marktteilnehmer. Zudem keimte die Hoffnung, dass es konjunkturell bei einer Delle bleibt und der von offizieller Seite in Form der Prognosen nationaler und supranationaler Einrichtungen erwartete Einbruch abgesagt werden kann. Dies würde durch eine verbesserte Gewinnsituation der Unternehmen für neue Bewertungsspielräume auf der Aktienseite sorgen.

Unternehmensanleihen: Der Sturz von der Sofakante droht

Konkret können wir uns vorstellen, dass der US-Dollar in den kommenden Wochen in eine überkaufte Situation hineinlaufen wird. Noch erscheint er vielen Investoren angesichts des wahrscheinlicher werdenden harten Brexits wie ein sicherer Hafen – und auch die plötzlich entflammten italienisch-französischen Streitigkeiten vermitteln das Gefühl, in Nordamerika dieser Tage besser aufgehoben zu sein. Aber das wird sich wieder drehen – spätestens nach dem Brexit oder aber der Europawahl.

Dann eröffnen ein bereits zu Ende gehender Zinserhöhungszyklus in den USA und ein von seinem temporären Hoch fallender US-Dollar im Segment der Emerging Markets neue Chancen. Und auf der Corporate Seite werden wir im Zuge der sich verschärfenden wirtschaftlichen Situation – nicht zuletzt durch die Handelskonflikte und geopolitischen Krisenherde angefacht – sehen, wie viele Unternehmen von der bis dahin komfortablen Sofakante geschubst werden, die Investmentgrade-Rating heißt. Damit gehen naturgemäß steigende Risikoaufschläge einher und ein auch in kleineren Titeln ansteigendes Angebot, das von Investoren stammt, die in diesem Moment verkaufen müssen.

Die Jahresanfangsrallye hat die Sonderangebote ausradiert

Auf den Schultern eben dieser beiden Faktoren lastet aber auch die Verantwortung für eine Fortsetzung der bisherigen Aufwärtsbewegung. Dabei gilt festzuhalten: Europas Aktienmarkt ist seit Jahresbeginn um über 15 % teurer geworden. Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11, das – vielleicht auch mit dem Restalkohol der Silvesternacht – dem einen oder anderen als Opportunität erschien, liegt jetzt bei knapp 13. Rückblickend über die letzten fünf bis zehn Jahre nicht teuer, aber eben auch kein Schnäppchen mehr.

Insofern schauen wir uns nach möglichen Belastungsfaktoren um: Aus Sicht global agierender Investoren wird eine konjunkturelle Abkühlung Chinas immer noch als größtes Risiko gehandelt. Gleich danach folgt der offene Handelskonflikt mit den USA. Beide sind eng miteinander verbunden. Derzeit scheint jedenfalls der im Wochenabstand wiederholte Satz „Die Gespräche laufen“ bereits ausreichend, um diese Sorgen soweit zu dämpfen, dass Europas Aktienmärkten noch mehr zugetraut wird.

Die Europa-Wahl wird noch unterschätzt

Auf der anderen Seite werden die Europa-Wahlen und der Brexit – was kalendarisch als erstes kommt, bleibt abzuwarten – nur von wenigen als möglicher Belastungsfaktor empfunden. Bezüglich der Europa-Wahl vermute ich allerdings, dass es mit näher rückendem 26. Mai noch für Unruhe sorgen wird, wenn die Wahl-Umfragen als rechts- oder linksextrem empfundenen Parteien größere Zugewinne vorhersagen.

Und beim Brexit? Nun, da bin ich tatsächlich gespalten. Ein flächiges Engagement hat Stand heute somit für mich eher den Charakter einer Wette. Insofern sind für die Insel selektive, fundamental begründete bottom-up Investments, die sich weitestgehend unabhängig vom Ausgang des parlamentarischen Ränkespiels der Briten, gut zu schlagen versprechen, das Gebot der Stunde.

Sicher bin ich mir nur in einer Hinsicht: Die kommenden drei Quartale wird Europas Aktienmarkt keine Einbahnstraße bleiben.









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