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25.06.2019 Große Leerflächen: Leipzigs Einzelhandel kämpft mit Strukturproblem

Die Zukunft des Handels in Leipzigs Top-Lagen wird zu einem großen Teil davon abhängen, wo man für die großen verfügbaren Flächen attraktive Nutzer oder sinnvolle Konzepte findet. Der ehemalige Karstadt mit rund 17.500 m² sowie Leerstände im Petershof von mehr als 2.500 m² drücken die Leipziger Statistik. Mit mehr als 20 Prozent verfügbarer Einzelhandelsfläche hat Leipzig sprunghaft die rote Laterne unter den neun größten Immobilienstandorten in Deutschland übernommen.

Von den analysierten 171.000 m² in der Top-Lage – übrigens mehr als Frankfurt (153.000 m²), Köln (150.000 m²) oder Düsseldorf (111.000 m²) – sind aktuell knapp 35.000 m² verfügbar. Also umgerechnet gut 20 Prozent. Im Vorjahr hatte dieser Wert noch knapp die Hälfte betragen. Dass die Quote der verfügbaren Läden nach Anzahl derweil sogar leicht von 13,4 auf 10,1 Prozent abnahm, zeigt, dass Leipzigs neue Herausforderung in großen Flächen steckt. Und die sind erfahrungsgemäß komplizierter zu vermitteln als kleine Flächen, die sich für Handel oder Gastronomie gleichermaßen eignen.

Leipzigs Einkaufsstraßen steigern ihren Zuspruch

Christin Soergel, Team Leader Retail Leasing JLL Leipzig: „Leipzig ist eine der beliebtesten Einkaufsstädte Deutschlands. Die Passantenfrequenzen und der Zuspruch sind konstant hoch. Die historische Innenstadt verstärkt das Kauferlebnis und die Identifikation mit der Stadt. Vor diesem Hintergrund sehen wir einen zunehmend härteren Wettbewerb zwischen der bereits starken Grimmaische Straße, der aufstrebenden Hainstraße und der ehemals unangefochtenen Petersstraße.“ Die Petersstraße übertraf mit 6.950 Passanten ihren Fünfjahresschnitt von 6.315 knapp. Die Grimmaische Straße lag mit 5.500 Menschen knapp über dem Mittelwert von 5.344. In der Hainstraße gab es in den vergangenen Jahren keinen Zählpunkt.

Doch Fakt ist auch: Der Einzelhandel befindet sich in einem historischen Umbruch. „Dabei wäre es zu einfach, nur auf die Konkurrenz durch den Online-Handel zu schauen, denn erfolgreiche Händler integrieren diesen Vertriebskanal in ihr Konzept. Vielmehr haben sich die Erwartungen und das Verhalten der Kunden verändert. Kauferlebnis, Genuss und Unterhaltung sind die Gründe, in die Innenstädte zu fahren. Volle Einkaufstüten sind für viele Konsumenten nicht mehr das Hauptziel“, analysiert Dirk Wichner, Head of Retail Leasing JLL Germany.

Die Folge: Händler bieten ein „Best of“ Ihrer Produkte und locken den Kunden, indem sie aus der Masse herausstechen. Die Funktion des vollgepackten Kleiderständers, der das komplette Sortiment präsentieren sollte, übernimmt jetzt die Unternehmenseigene Webseite. Wenn der Händler aber nicht mehr auf Vollständigkeit setzen muss, lässt sich die bewirtschaftete Fläche deutlich reduzieren. „Wir erleben derzeit eine Normalisierung. In den Zeiten hoher Reallohnzuwächse in den 80er-Jahren wurde massiv expandiert – oft über mehrere Stockwerke. Nun erleben wir eine Normalisierung. Auch unter dem wirtschaftlichen Druck, denn insbesondere in den Jahren zwischen 2010 und 2015 sind die Spitzenmieten in den Toplagen der Großstädte um ein Vielfaches stärker gestiegen als die Handelsumsätze“, erklärt Wichner. Erstmals seit Beginn der massiven Expansion ist die Nachfrage nicht mehr deutlich höher als das Flächenangebot, so dass die Mieten mittlerweile stagnieren und erstmals auch reale Leerstände in den Topeinkaufslagen zu sehen sind.

Rund jedes zehnte Geschäft ist noch nicht über 2020 hinaus verplant

Reale Leerstände sind aktuell neben dem Karstadt und im Petershof, wo einst Olymp&Hades mit dem Konzept Kult vertreten war, in der ehemaligen Michael-Kors-Filiale in der Grimmaische Straße sowie im Zeppelin-Haus in der Nikolaistraße zu finden. Hinzu kommt der verdeckte Leerstand: Zusammengenommen ist jedes zehnte Geschäft in der absoluten Toplage Leipzigs noch nicht über die kommenden 18 Monate hinaus verplant – das sind derzeit 20 Ladenlokale. Vor allem die Textilbranche, die seit einigen Jahren wie keine andere in einer Transformation steckt, tut sich schwer mit langfristigen Standortbekenntnissen. Rund ein Viertel der verfügbaren Geschäfte werden oder wurden bislang von dieser Branche bespielt. Recht hoch im Vergleich zu anderen Städten ist zudem der Anteil der Kategorie „Sonstiges“ mit neun Objekten, wobei dazu auch Objekte um Umbau zählen. Ebenso eine eigene Kategorie ist beispielsweise das ehemalige Warenhaus Karstadt, das sich nicht auf eine Branche festlegen lässt.

„Trotz dieser Zahl hat Leipzig einen großen Vorteil: Es gibt keine Ballung in einer bestimmten Lage. Petersstraße und Grimmaische Straße haben je fünf verfügbare Flächen, die Hainstraße vier. Zudem zeigt die Stadt bereits jetzt ihr großes Potenzial, indem der Petersbogen revitalisiert und erweitert wird. Auch der Aufschwung der Hain- und Katharinenstraße nach der Eröffnung der Höfe am Brühl ist nicht zu übersehen“, bringt Soergel Gegenwart und Zukunft zusammen. Im Schnitt der vergangenen fünf Jahre wurden in Leipzig jeweils 11.000 m² Einzelhandelsfläche vermietet. Leipzig liegt damit deutlich vor seinen Vergleichsstädten Nürnberg (6.600 m²) und Hannover (5.400 m²).

Eine erfolgreiche Umnutzung des Karstadt kann der Petersstraße neue Impulse geben
In einem solchen Umfeld ist es erfahrungsgemäß relativ unproblematisch kleinere Flächen mit neuen Handelskonzepten zu belegen. Die Herausforderung liegt vielmehr in wenigen, dafür aber sehr großen Stücken wie dem ehemaligen Karstadt, denn allein die drei Objekte größer als 1.000 m² machen zusammengenommen 21.000 m² und damit 60 Prozent der verfügbaren Fläche in Leipzig aus. „Entsteht im ehemaligen Karstadt das richtige Konzept, kann es also einen sehr großen neuen Impuls am Ende der Petersstraße setzen“, erklärt Soergel zu dem Objekt, dass insgesamt über fast 30.000 m² Fläche verfügt. „Ideal wäre zum Beispiel, dass man die Etagen ab dem zweiten Stockwerk als Büro oder Hotel nutzt und das Unter- und Erdgeschoss sowie den ersten Stock erneut mit Einzelhandel bespielt.“ Allerdings kommt hier erschwerend hinzu, dass es in der Leipziger City unter anderem mit Primark, Breuninger, TK Maxx sowie P&C bereits einige großflächige Konzepte gibt.

Knackpunkt der meisten Mietvertragsverhandlungen, die sich mittlerweile in der Regel um eine Laufzeit von fünf Jahren drehen, ist aber immer die Preisfrage. Mit einer Spitzenmiete von 120 Euro je Quadratmeter im Monat auf Peters- und Grimmaische Straße rangiert Leipzig unter den Big 9 zwar auf dem letzten Platz – bei Spitzenreiter München wird das dreifache bezahlt –, was aber nicht heißt, dass nicht hart verhandelt wird, denn die Bereitschaft, eine relativ hohe Miete zu akzeptieren, hängt immer mit optimistischen Umsatzerwartungen zusammen.

Zugleich gibt es aber auch eine Kategorie, in der Leipzig bundesweit zur Spitzengruppe zählt: Individualität. So haben die Hainstraße (51 %) sowie die Nikolaistraße (48 %) mit den geringsten Filialisierungsgrad aller Toplagen bundesweit. „Das gibt der Innenstadt Charakter und erhöht ihre Anziehungskraft, weil hier etwas geboten werden kann, was der Onlinehandel nicht leisten kann“, sagt Soergel.






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