News RSS-Feed

18.07.2016 Ausblick Kapitalmärkte: Viel Bewegung, wenig Richtung

An den Kapitalmärkten wird es auch im zweiten Halbjahr 2016 weiter unruhig bleiben. „Die ersten sechs Monate 2016 waren ein Vorgeschmack auf das, was uns im zweiten Halbjahr erwartet“, prognostiziert Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment zuständig für Portfoliomanagement und Immobilien. Neben der Frage nach der Zukunft Europas sieht er die wirtschaftliche Entwicklung der USA und den künftigen Kurs der Notenbanken als wichtigste Einflussfaktoren. Im Ergebnis rechnet er mit einer Seitwärtsbewegung an den Märkten, allerdings unter starken Schwankungen. „Wir werden viel Bewegung, aber wenig Richtung an den Börsen erleben“, erwartet Wilhelm.

Ein prägendes Ereignis der ersten Jahreshälfte 2016 war sicherlich die Entscheidung Großbritanniens zum Austritt aus der Europäischen Union (EU). Auch wenn die Details sowie die konkreten Folgen bislang noch ungeklärt sind, so ist sich Wilhelm sicher: „Der Brexit wird uns in Europa noch Jahre beschäftigen, und das nicht nur im Hinblick auf die Briten.“ Spätestens jetzt ist klar, dass das Einigungsprojekt in einer tiefen Krise steckt. Die größte Gefahr sieht er dabei in einer Sogwirkung auf andere Nationen wie Italien oder die Niederlande. Dort stehen entweder Wahlen an, oder die Hürden für nationale Referenden sind besonders niedrig. „Populisten jeglicher Couleur können auch in anderen europäischen Ländern jederzeit Debatten wie in Großbritannien entfachen. Darauf schauen die Kapitalmärkte mit Argusaugen“, sagt Wilhelm. Er rechnet mit einer sprunghaften Zunahme der Schwankungsintensität, sollte die Austrittsdiskussion weiter an Fahrt aufnehmen. „Die Investoren sind jetzt gewarnt. Steigt die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren EU-Austritt, ist mit deutlichen Abverkäufen bei Risiko-Assets zu rechnen.“

Hinzu kommt, dass durch den Brexit mit negativen Effekten auf die Konjunktur nicht nur in Großbritannien zu rechnen ist. Union Investment geht davon aus, dass im Jahr 2016 das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf der Insel nur noch um 1,6 Prozent zulegt (nach 2,3 Prozent im Vorjahr). Im Jahr 2017 könnte der Zuwachs auf 1,0 Prozent zurückgehen. Jedoch gehen nur rund drei Prozent der gesamten Ausfuhren aus der Eurozone nach Großbritannien. Das spricht gegen eine massive Beeinträchtigung der Wirtschaft in der Währungsunion. „Ganz ohne Wachstumsverlangsamung wird der Brexit aber auch an Deutschland nicht vorbeigehen“, prognostiziert der Kapitalmarktstratege.

EZB: Im Zweifel mehr Lockerung

Vor diesem Hintergrund geht Wilhelm davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik noch weiter lockern wird, sollte es die Lage in Europa erfordern. „Die EZB ist derzeit die einzige handlungsfähige Institution auf dem Kontinent. Im Zweifel wird sie daher das geldpolitische Gaspedal noch weiter durchtreten“, ist er überzeugt. Dabei wird die Notenbank seiner Ansicht nach neue Wege nicht scheuen. „Unter Draghi hat sich die EZB innovativ und furchtlos gezeigt. Sie wird auch ein weiteres Mal nicht vor unkonventionellen Maßnahmen zurückschrecken“, meint Wilhelm. Sollte es zu weiteren Schritten kommen, wären kurzfristig sogar positive Marktreaktionen möglich. Eine langfristige Lösung der Probleme in Europa kann die EZB seiner Einschätzung nach jedoch nicht liefern: „Über die Zukunft der Währungsunion wird nicht im Frankfurter EZB-Tower entschieden. Stattdessen ist die Politik gefragt.“

Mehr europäische Lösungen

Nach Meinung Wilhelms sollte dabei das Augenmerk auf realistischen Lösungsansätzen liegen: „Akademisch einwandfreie Konzepte helfen in der aktuellen Problemlage nicht weiter. Wir brauchen pragmatische Ansätze.“ Er plädiert daher für Reformen auf Politikfeldern, auf denen sich auf europäischer Ebene schnelle und greifbare Fortschritte erzielen lassen. Als positives Beispiel verweist er auf die europaweite Bankenaufsicht, die sich als Blaupause auf Bereiche wie eine Europäisierung der Körperschaftsteuer oder der Arbeitslosenversicherung übertragen lässt. „Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist der vielversprechendste Weg“, analysiert Wilhelm mit Blick auf eine mögliche Staffelung künftiger Integrationsschritte. „Auch stärkere Wachstumsimpulse vonseiten der Fiskalpolitik sind überlegenswert.“

Merkliche Wachstumsverlangsamung in den USA

Einen weiteren wesentlichen Einflussfaktor für die kommenden Monate sieht Wilhelm in der Konjunkturentwicklung in den USA: „Der US-Aufschwung geht ins achte Jahr. In diesem reifen Stadium ist eine weitere Tempoverringerung beim Wirtschaftswachstum abzusehen.“ Für 2016 prognostiziert Union Investment einen BIP-Zuwachs von 1,7 Prozent. Im Folgejahr dürfte der Wert jedoch auf 0,8 Prozent absinken. „Das ist noch keine Rezession, aber eine merkliche Verlangsamung. Da die USA nach wie vor wichtigster Wachstumsmotor der Weltwirtschaft sind, bremst das auch die Kapitalmärkte“, folgert er.

Fed im Dilemma

Dieses niedrige Wachstum in den Vereinigten Staaten stellt die US-Notenbank Fed vor eine erhebliche Herausforderung. Nach Jahren der ultralockeren Geldpolitik will sie eigentlich die Zügel straffen. Angesichts des fragilen weltwirtschaftlichen Umfelds und der Tempoverlangsamung der USA wird dieses Vorhaben aber zunehmend schwieriger. „Wir erwarten maximal noch eine Zinserhöhung in den nächsten Monaten“, sagt Wilhelm. „Dabei ist meiner Einschätzung nach überhaupt kein Zinsschritt mehr notwendig. Die Diskussion über mögliche geldpolitische Maßnahmen wird die Märkte in jedem Fall weiter in Atem halten.“

Herausforderndes Umfeld für Aktien

Insgesamt geht Wilhelm daher von einem Marktumfeld aus, das durch eine Mischung aus hoher Schwankungsintensität und übergeordneter Seitwärtstendenz gekennzeichnet sein wird: „Anleger sollten sich darauf einstellen, dass die Nervosität der letzten Monate anhält.“ Für Aktien sieht der Kapitalmarktstratege angesichts des abnehmenden Konjunkturmomentums neue Herausforderungen: „Weniger BIP-Wachstum bedeutet auch geringere Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen. Damit wird der Weg für Aktien steiniger.“ Gleichwohl sorgt das Umfeld von anhaltend niedrigen Zinsen für eine solide Unterstützung der Anlageklasse. „Die Aktie bleibt langfristig ein Renditebringer und wird umso unentbehrlicher, je länger das Niedrigrenditeumfeld anhält.“ Besondere Chancen sieht Wilhelm bei Unternehmen mit stabilem Geschäftsverlauf und robusten Cashflows. Gerade diese aufgrund ihrer strukturellen Nähe zu Anleihen auch „Bond-Proxies“ genannten Papiere dürften künftig noch höhere Bewertungen rechtfertigen.

Zinsen bleiben niedrig – Alternativen gesucht

Auch auf der Rentenseite verschärft sich die Suche nach Ertragsquellen. „Wir erwarten zum Jahresende bei zehnjährigen Bundesanleihen eine Rendite von minus 0,1 Prozent“, sagt Wilhelm. In den USA dürften Staatsanleihen gleicher Laufzeit noch mit 1,5 Prozent rentieren. „Das ist schlicht zu wenig für viele Investoren.“ Alternativen sieht der Kapitalmarktstratege vor allem in den aufstrebenden Volkswirtschaften (Emerging Markets) und bei Hybridanleihen. „Für die Schwellenländer spricht die Zurückhaltung der US-Notenbank Fed, die ausgewogene Positionierung der Investoren sowie der realwirtschaftliche Trend“, erläutert Wilhelm beispielhaft die Aussichten von Rentenpapieren aus den Emerging Markets. „Bei Schwellenländeranleihen gibt es nach wie vor attraktive Renditeniveaus, bei Hartwährungsanleihen sind vier Prozent auf Sicht von zwölf Monaten durchaus realistisch. Eine sorgfältige Titelauswahl ist dabei wichtiger denn je, denn die offensichtlichen Investmentgelegenheiten sind längst abgegrast.“ So gilt es, bei den aufstrebenden Volkswirtschaften genau zwischen den Ländern zu unterscheiden, da ein Engagement in bestimmten Staaten wie Südafrika oder Venezuela mit hohem Risiko verbunden ist.

Rohstoffe: Besser auf Gold statt auf Öl setzen

Im Rohstoffbereich sieht Wilhelm viele Segmente in der Findungsphase zu neuen Gleichgewichtspreisen nach dem Ende des Superzyklus: „Die Sonderkonjunktur der letzten 20 Jahre ist vorbei. Das müssen die Kapitalmärkte derzeit verarbeiten.“ Chancen erkennt er dabei insbesondere bei Edelmetallen. Gold beispielsweise profitiert im Niedrigrenditeumfeld vom Wegfall der Opportunitätskosten. „Früher hatte Gold mit dem Makel zu kämpfen, dass es keine Zinsen bringt. Da heute viele sichere Anleihen negativ rentieren, ist aus diesem Nachteil ein Vorteil geworden“, analysiert Wilhelm. Zudem sorgt die hohe politische Unsicherheit für eine stete Nachfrage nach dem Edelmetall. Union Investment sieht daher weiteres Kurspotenzial bis zu einem Niveau von 1.450 US-Dollar je Feinunze bis zum Jahresende.

Hingegen ist der Kapitalmarktstratege eher skeptisch, was die Aussichten bei Rohöl angeht. „Die Erholung der letzten Wochen war vor allem von unvorhergesehenen Produktionskürzungen ausgelöst“, sagt Wilhelm mit Verweis auf die Waldbrände in Kanada. „Solche Effekte werden nicht dauerhaft tragen.“ Daher prognostiziert Union Investment bis zum Jahresende 2016 keinen weiteren nachhaltigen Anstieg, sondern geht von einem Ölpreis von 50 US-Dollar pro Barrel aus.

Flexibilität schlägt Volatilität

Wilhelm rät Anlegern in den kommenden Monate daher zu flexiblen Ansätzen: „Es gilt, auf alles vorbereitet und jederzeit handlungsfähig zu sein. In schwankungsstarken Seitwärtsphasen gewinnt die Taktik an Bedeutung für erfolgreiches Investieren.“ Gut aufgestellte Anleger können die Anpassungsbewegungen an den Märkten für sich nutzen. Dafür eignen sich besonders moderne Multi-Asset-Lösungen. „Flexibilität schlägt Volatilität“, resümiert Wilhelm.




Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!