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17.05.2017 Thüringen: Wohnungswirtschaft im Zeitalter des Postfaktischen

„Unsere neuen Zahlen zeigen: Wohnungen in Thüringen sind bezahlbar und ausreichend verfügbar. Die gesamte Diskussion um Wohnungspolitik muss realitätsbezogener und ideologiefrei werden“, betont Jürgen Elfrich, Prüfungsdirektor des Verbandes der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e.V. (vtw) anlässlich der „Tag der Thüringer Wohnungswirtschaft“ (17.-18. Mai) in Suhl. Unter dem Motto „Wohnungswirtschaft im Zeitalter des Postfaktischen“ treffen sich ca. 300 führende Vertreter von kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften zum Spitzengespräch. Sie formulieren zudem vier Forderungen an die Politik, mit denen Wohnen in Thüringen für breite Schichten bezahlbar bleiben kann.

Mieten steigen um nur 7 Cent, niedrige Haushaltbelastung

„In Politik und Gesellschaft bemerken wir zunehmend die Wahrnehmung einer ‚gefühlten‘ Realität, die sich von der Faktenlage entfernt. Im Dezember 2016 betrug die durchschnittliche Nettokaltmiete der vermieteten Wohnungen unserer Mitgliedsunternehmen 4,85 Euro/m². Dies sind 7 Cent oder 1,5 % mehr als im Vorjahr.“, so Jürgen Elfrich. Auch die Neuvermietungen befinden sich mit Durchschnittspreisen zwischen 5 und 6 Euro pro Quadratmeter auf einem moderaten Niveau.

Eine ähnliche Situation stellt sich in Thüringens ‚Hot Spots‘ Erfurt und Jena dar. Auch hier liegt die Ist-Miete mit 5,05 Euro (Erfurt) und 5,55 Euro (Jena) im moderaten Bereich. Die steigenden Nachfrage in den Städten spiegelt sich in Angebotsmieten dar, die durchschnittlich ein bis zwei Euro über dem Thüringer Durchschnitt liegen. Jedoch zeigen die hohen Fluktuationsraten (also Aus- bzw. Einzüge / Mieterwechsel) von 8,6 Prozent (Erfurt) und 12,6 Prozent (Jena), dass genügend Wohnraum für jeden Bedarf verfügbar ist – in Städten mit zu hoher Nachfrage liegt die Fluktuationsrate sehr niedrig, da kein Wohnungsangebot verfügbar ist.

Trotz Unterschieden zwischen Stadt und Land sowie innerhalb der Kommunen befindet sich Thüringen damit mit einer Mietbelastung von 24 % am Haushaltseinkommen deutschlandweit auf dem vorletzten Platz.
Es verbiete sich angesichts dieser Werte, so Prüfungsdirektor Elfrich, für Thüringen von angespannten Märkten zu reden, die einer Regulierung bedürfen oder gar Wohnraum als nicht bezahlbar zu bezeichnen. Allein vtw-Unternehmen errichteten 2016 zudem 614 neue Wohnungen.

Zweite Leerstandswelle: Leerstand bei 8,1 Prozent, auf dem Land bei 10 Prozent

Gleichzeitig muss Thüringens Wohnungswirtschaft in diesem Jahr auf eine sich verschärfende zweite Leerstandswelle reagieren. Der Freistaat verzeichnet bis zum Jahr 2035 weitere Bevölkerungsrückgänge. Diese werden zwar nicht so stark ausfallen, wie auf der Basis früherer Berechnungen prognostiziert, dennoch sinkt die Einwohnerzahl unter die Zwei-Millionen-Grenze auf voraussichtlich 1.875.100 Personen im Jahr 2035. Bei den vtw-Mitgliedsunternehmen stehen schon jetzt 8,1 Prozent leer. Außerhalb der Städte Erfurt, Weimar, Jena beträgt der Leerstand sogar 10 Prozent. Aktuell finden 13.400 sofort verfügbare Wohnungen keine Mieter. Diese Zahl läge ohne auch im letzten Jahr erfolgte Abrisse von 525 Wohnungen noch höher. Ohne eine weitere Abrissförderung wird diese Situation nicht zu meistern sein. Gleichzeitig müssen das Land, Kommunen und Wirtschaft gemeinsam agieren, um der immer größer werdenden Kluft zwischen Stadt und Umland und dem Ausbluten ländlicher Räume zu begegnen.

375 Millionen Euro Investitionen – Kosten laufen davon

Neben vergleichsweise niedrigen Mieten und steigenden Leerständen kommt eine weitere Belastungsprobe auf die Wohnungswirtschaft zu. „Unsere Unternehmen modernisierten Ihre Bestände in den 90ern. Nach dem Ende des natürlichen Sanierungszyklus muss ein Großteil wieder erneuert werden. Dies wird an den Investitionen in die Modernisierung deutlich. Diese gingen Jahr für Jahr sukzessive zurück. 2016 stiegen sie erstmals wieder an und erreichten mit 113,4 Mio. Euro annähernd die Werte der Jahre 2012 und 2013. Für 2017 befinden sich sogar 148 Mio. Euro in der Planung. Die Aufwendungen für Instandhaltung/-setzung stiegen dabei von rund 7,20 Euro im Jahr pro Quadratmeter eigener Wohnfläche in 2005 auf 12,20 Euro/m² in 2016. Insgesamt investierte Thüringens Wohnungswirtschaft im vergangenen Jahr 375 Millionen Euro. „Baukosten rauf und Mieten runter? Wir können vieles, aber nicht zaubern. Hier muss die Politik unterstützend reagieren“, sagt dazu Prüfungsdirektor Jürgen Elfrich.

Niedrige Mieten, wachsende Leerstände, ein anstehender zweiter Sanierungszyklus und die zunehmende Kluft zwischen Stadt und Land – Thüringens Wohnungswirtschaft steht vor Herausforderungen, die sie wenig beeinflussen und nicht allein meistern kann.

Vor diesem Hintergrund stellt der vtw vier Forderungen an die Politik auf:

1. Förderpolitik: Thüringen benötigt eine ressortübergreifende und abgestimmte Strategie für die Förderung von Infrastruktur, Wirtschaft und Wohnungsbau.

2. Das Stadtumbauprogramm Ost benötigt neue Anreizinstrumente zur Bekämpfung des Leerstandes, insbesondere zur Stabilisierung des ländlichen Raumes.

3. Investitionen müssen durch stabile politische und gesetzliche Rahmenbedingungen flankiert werden.

4. Gewünschte, aber nicht refinanzierbare Standards im Neubau müssen über Förderung wirtschaftlicher werden. Dazu gehören eine Vergabe kommunaler Grundstücke nach Konzept (und nicht nach Höchstpreisgebot) und die Senkung der Grunderwerbssteuer auf die alten 3,5 Prozent.








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