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09.05.2019 Architekturfestival schafft ein Paradies für bedrohte Tiere

Ein Refugium für bedrohte Insekten und Kleintiere und eine Installation zum Kräuterpflücken, Verweilen und ins Gespräch kommen am Lobedaer Stadtplatz haben das Rennen beim dreitägigen Architekturfestival 72 Hour Urban Action in Lobeda gemacht. Die Entwürfe wurden am Sonntag zum Ende des Echtzeit-Spektakels mit einem mit 6.000 Euro dotierten Jury- sowie einem Publikumspreis ausgezeichnet. Am Tag des Finales waren mehr als 3.000 Besucher gekommen, darunter viele Bürger, aber auch Kunst- und Architekturinteressierte. Neben dem Rahmenprogramm mit mobilem Repaircafé, Flashmob und Konzerten standen die finalen Arbeiten der 120 Teilnehmer im Fokus, die an 10 Orten temporäre Architekturkonzepte umgesetzt haben. Bis Juli finden weitere Veranstaltungen statt.

In Zeiten, in denen über den globalen Klimawandel diskutiert wird und Kinder bei FridaysForFuture auf die Straße gehen, um für bessere Klimabedingungen zu protestieren, hat ein Architekturteam in Jena Lobeda auf einer Brachfläche Fakten geschaffen. Die sechsköpfige Experten-Jury unter dem Vorsitz von Dr. Marta Doehler-Behzadi, Geschäftsführerin der IBA Thüringen, vergab den Preis an das "Team Template".

„Die in Thüringen beheimatete Tier- und Pflanzenwelt war der Ausgangspunkt. Durch die Konstruktion bringen wir die unterirdisch liegende und limitierende massive städtische Infrastruktur ans Licht. Dabei sollte die entstehende oberirdische Infrastruktur das Positiv zum unterirdischen Negativ sein – was wir gestalterisch umgesetzt haben. Ziel war es, Pflanzen, Menschen und Tiere zusammenzubringen und die Menschen auf die Umwelt aufmerksam zu machen. Und tatsächlich haben sich die Anwohner schon jetzt dazu bereit erklärt, zukünftig die Pflege der Installation, vor allem der Pflanzen, zu übernehmen“, erklären die Gewinner.

Die Konstruktion folgt dem Ideal eines Plattenbaus – mit dem Schaffen einer soliden Grundstruktur, einem Rahmen, in dem verschiedene Ebenen implementiert werden können und der auf natürliche Weise wachsen kann. Die Modularität ermöglicht viele Variationen. „Wir integrierten beispielsweise ein Fledermaushotel oder Vogelnistkästen - viele weitere Optionen sind denkbar und die Anwohner sind dazu aufgefordert, ihren Gedanken und Vorstellungen freien Lauf zu lassen, damit sich die Struktur mit der Umwelt verwächst. Und dies sind in Städten nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern eben auch Menschen.“

Das interdisziplinäre Team aus Jena, Gera, Berlin, Hamburg, London und Madrid hat nach eigenen Aussagen in den 72 Stunden vor Ort in Jena eine Menge gelernt. „Das wichtigste im Prozess dieser 72-Stunden-Aktion war, dass wir in jeder Situation aufeinander Acht gegeben haben mit Empathie, Ruhe und Verständnis. Durch unsere diverse Gruppe wurden unsere Perspektiven verändert und hinterfragt“, berichtet das Team.

Neben dem Jurypreis konnten die Bewohner Lobedas für ihr Lieblingsprojekt abstimmen. Als Siegerteam ging das Team „Tangerine Dreamers“ hervor. Direkt am Stadtplatz entstand mit „All over the Platz“ eine Installation, die dem Ort mehr Aufenthaltsqualität schenken soll. Die Idee: Erhöhte Sitz- und Verweilstationen, die die Komplexität des Platzes sichtbar machen. Entlang der organischen Bewegungslinien auf dem Stadtplatz hat das internationale Team diese Station gebaut, um die Menschen einzuladen – ohne zu stark in die Bewegungsabläufe einzugreifen.

„Die Installation erinnert in ihrer Form an fliegende Teppiche. Gleichzeitig greift sie die Idee auf, die Mobilität des Platzes nachzuzeichnen, selbst wenn Menschen ihre Routine unterbrechen und auf dem hölzernen Teppich verweilen – als spannungsreiches Gegenstück zum Laufen“, erklärt eines der Teammitglieder.

Ziel aller zehn temporeichen Architekturmissionen war es, aus öffentlichen Orten mehr herausholen. Nützliches und Schönes schaffen. Komplexität sichtbar machen. Insgesamt zehn Teams haben seit Freitag viel nachgedacht und diskutiert, wie sie die gestellten Aufgaben im Rahmen des Echtzeit-Architekturfestivals umsetzen können – um damit unter anderem Treffpunkte für die Anwohner des Stadtteils zu kreieren. Das Format „72 Hour Urban Action“ geht zurück auf die Idee der beiden israelischen Architekten und Kuratoren, Kerem Halbrecht und Gilly Karjevsky, die mit dem Festival bereits weltweit Stadtplanung in Echtzeit erlebbar gemacht haben.

Jena Lobeda ist als bekannte Plattenbausiedlung für das Konzept prädestiniert. Nach Angaben der Organisatoren handelt es sich um einen gewachsenen und lebenswerten Ort, bei dem Eigen- und Fremdwahrnehmung oft stark auseinanderklaffen. Das Festival 72HUA ermöglicht Stadtentwicklung als aktiven Prozess und bezieht Architektur und Kunst in städtebauliche Entwicklungen ein. Stadtentwicklung ist dieses Mal nicht nur theoretisch oder politisch zu sehen, sondern praktisch, vor Ort und selbst gemacht – als Do-It-Yourself-Stadtentwicklung.

„Jena zeigt mit dem Projekt, wie weltoffen, jung und international die Stadt ist. Menschen jeden Alters, mit verschiedensten beruflichen Hintergründen und aus 26 Nationen nehmen an 72 HUA teil. Das Festival stärkt die zivilgesellschaftliche Teilhabe und wirkt damit langfristig in die Stadt", sagt Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche.
Der Besucherandrang am Wochenende hat gezeigt, wie schnell der durch die Architektur eingeleitete Dialog angenommen wurde. Zu den Installationen, Tanzperformances, dem Zirkusworkshops für Kinder sowie den Touren kamen mehr als 3.000 Besucher. Den Organisatoren ist es gelungen, die Lobedaer Vereine vor Ort in das Format zu integrieren – und den Austausch zwischen Akteuren und Anwohnern in Gang zu bringen.





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