News RSS-Feed

24.05.2022 Wohnungsbauziel der Ampelkoalition ist unerreichbar

Dr. Wulff Aengevelt
Angesichts des Wohnungsmangels hat sich die Ampelkoalition das Ziel gesetzt, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen. Dieses Ziel ist nach Erkenntnissen von Aengevelt Research unerreichbar. So sind die Baufertigstellungen in 2021 nicht gestiegen, sondern gesunken und haben gerade einmal 293.393 Wohneinheiten erreicht. Und angesichts der Baupreissteigerungen von 14,3 % im ersten Quartal 2022 haben viele Wohnungsunternehmen und andere Bauherren ihre Neubaupläne auf Eis gelegt. Eine echte Wohnungsbauoffensive der neuen Regierung ist auch nicht erkennbar.

Wer in einer Großstadt eine Wohnung sucht, spürt sofort: Wohnungen sind Mangelware. Das bestätigt ein Blick auf den ökonomischen Knappheitsindikator, den Mietpreis: Im ersten Quartal 2022 sind die Mieten für Neubauwohnungen in Deutschland um 4,6 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen, die Mieten für Bestandswohnungen um 4,4 %, die Preise für Eigentumswohnungen um 11,8 % (Neubau) bzw. 11,5 % (Bestand) und die Preise für Einfamilienhäuser gar um 14,1 % (Neubau) bzw. 13,7 % (Bestand – Quelle für alle Preise: empirica Preisdatenbank).

Wohnungsmangel ist nicht neu in Deutschland. Zuletzt war Mitte der 1990er Jahre eine Wohnungsnot zu verzeichnen. Die wurde aber rasch beseitigt, weil es gelang, vier Jahre hintereinander jeweils rund 600.000 Wohneinheiten fertigzustellen. Das ist die Zielmarke, die auch heute wieder erreicht werden müsste, um den aktuellen Wohnungsmangel zu beseitigen. Das Ziel von jährlich 400.000 Neubauten, das sich die Ampelkoalition gesetzt hat, ist angesichts der Zielmarke bescheiden genug. Und selbst dieses Minimalziel wird nicht erreicht werden.

Das Statistische Bundesamt hat vor kurzem die Zahlen für das Jahr 2021 veröffentlicht: Lediglich 293.393 Wohneinheiten sind fertiggestellt worden, das sind nochmals 4,2 % weniger als im schon unzureichenden Vorjahr. Und die Situation wird sich nicht bessern, warnt die Forschungsabteilung des Immobilienhauses Aengevelt. Neben dem bereits seit langem herrschenden Mangel an Baugrundstücken – und entsprechenden Preissteigerungen – wird der Wohnungsbau durch weitere Faktoren gehemmt. Erstens steigen die Zinsen für die Baufinanzierung kräftig an. Inzwischen hat der Zinssatz für Baugeld 2,8 % erreicht – im vergangenen Herbst hatte er noch bei 0,8 % gelegen. Und zweitens sind gleichzeitig die Baupreise explodiert: Das Statistische Bundesamt meldet, dass die Baupreise im ersten Quartal 2022 um 14,3 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind.

Hierbei sind die Preissteigerungen sogar nur die Spitze des Eisbergs. Manche Baumaterialien sind überhaupt nicht mehr kurz- bis mittelfristig verfügbar. Das gilt beispielsweise für Baustahl, zwischenzeitlich für Bauholz, aber auch für Dämmstoffe, bauchemische Produkte und Bauteile, die für elektronische Steuerungen Chips benötigen, die aufgrund der Einbrüche globaler Lieferketten durch die Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges nicht mehr auf dem Markt sind. Auch Wärmepumpen und Photovoltaik-Elemente sind knapp geworden.

Hinzu kommt, dass viele Unternehmen des Bauhaupt- und Baunebengewerbes die Annahme von Aufträgen ablehnen müssen, weil ihnen Fachpersonal fehlt, auch bedingt durch den Mangel an Nachwuchs für handwerkliche Berufe. Die Preisdynamik führt dazu, dass Generalunternehmen keine Festpreise mehr anbieten, weil sie das Risiko zukünftiger Preissteigerungen nicht tragen können.

Die Folge: Die beiden größten deutschen Wohnungsunternehmen, Vonovia und LEG, haben als Signalgeber bereits angekündigt, ihre Neubauaktivitäten stark herunterzufahren. Eine aktuelle Umfrage des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW ergab, dass alle in dessen Mitgliedsunternehmen ursprünglich geplante Neubauleistungen im Umfang von 58.000 Wohneinheiten durch die Zins- und Preissteigerungen gefährdet sind. Die Zahl der Baugenehmigungen ist im März 2022 um 8,9 % gegenüber dem Vormonat gesunken. Aengevelt Research erwartet deshalb, dass die Baufertigstellen gegenüber dem bisherigen, niedrigen Niveau sogar noch weiter zurückgehen.

Dr. Wulff Aengevelt: „Das Wohnungsbauziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr ist in weite Ferne gerückt. Wir werden froh sein, wenn wir 2022/23 gerade einmal 200.000 Einheiten erreichen. Bei der Bundesregierung sehen wir keine Entschlossenheit, die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau durchgreifend zu verbessern. Im Gegenteil, die Streichung von KfW-Förderprogrammen durch den Wirtschaftsminister hat die Situation noch weiter verschlechtert. Und die angekündigte Verschärfung der Klimaschutzauflagen kommt zeitlich denkbar unpassend und hilft auch nicht, weil sie die Kosten noch weiter in die Höhe treibt. Für den Klimaschutz ist es am besten, wenn möglichst viele Neubauten mit dem KfW-Effizienzhausstandard 55 errichtet würden, anstatt nur geringe Mengen mit dem Effizienzhausstandard 40 zu erreichen.“

Damit das ursprünglich anvisierte Wohnungsbauziel doch noch erreicht werden kann, wäre nach den Erkenntnissen von Aengevelt Research eine umfassende Wohnungsbauoffensive erforderlich, die kurzfristig starten müsste. Diese Wohnungsbauoffensive müsste folgende Instrumente beinhalten:

1. Eine Baulandoffensive der Kommunen mit Unterstützung des Bundes und der Länder sowie Beschleunigung der Planungsverfahren. Ökologische Bedenken dürfen keine Hemmnisse gegen die Baulandausweisung mehr darstellen, da es inzwischen möglich ist, Wohnsiedlungen durch Begrünung und Regenwassermanagement mit einem Versiegelungsgrad von Null zu errichten.

2. Sofortige und großzügige Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus einschließlich der gezielten Förderung des Wohneigentums.

3. Augenmaß bei der Bemessung der ökologischen Standards des 2023 startenden Förderprogramms „Klimafreundliches Bauen“, damit die Förderbeträge nicht durch die dadurch bewirkten Kostensteigerungen zunichtegemacht werden.

4. Zügige Umsetzung der angekündigten Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer bei gleichzeitigem Verzicht auf weitere Grunderwerbsteuererhöhungen.

5. Anhebung der linearen AfA für den Neubau vermieteter Wohnungen auf mindestens 4 % (geplant sind lediglich 3 %), besser noch Rückkehr zur bewährten degressiven AfA.

6. Wiedereinführung der Eigenheimzulage mit großzügigen Einkommensgrenzen. Angesichts der Dringlichkeit der Wohnungsnot empfiehlt Aengevelt Research eine Priorisierung der Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus. Andere finanzwirksame Vorhaben des Koalitionsvertrags könnten dagegen zurückgestellt werden.









Leserumfrage
Wir schätzen Ihre Expertenmeinung!
Hier ist unsere Leserumfrage:
schnell & unkompliziert
Jetzt starten!