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24.08.2022 Wichtigsten Argumente gegen reine Online-Eigentümerversammlung

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) plant eine zentrale Änderung im Wohnungseigentumsgesetz (WEGesetz): die Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung. Wohnungseigentümer sollen sich per einstimmigen Beschluss in der Eigentümerversammlung für diese Art der Durchführung von Eigentümerversammlungen entscheiden können. Wohnen im Eigentum (WiE) hat die 11 wichtigsten Argumente zusammengetragen, warum die beabsichtigte Gesetzesänderung keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung der Situation der Wohnungseigentümer bedeutet.

Die Erörterung und Entscheidung über alle für das Wohnungseigentum und das Zusammenleben in der Wohnungseigentümergemeinschaft bedeutsamen Gegenstände nehmen Wohnungseigentümer in ihrer meistens einmal im Jahr stattfindenden Eigentümerversammlung wahr. Wohnungseigentümer tauschen sich dort aus und fassen Beschlüsse, die die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, dessen Finanzierung und bauliche Veränderungen betreffen. Umso wichtiger ist es, dass jeder Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung teilnehmen kann. Dafür gibt es aktuell zwei Möglichkeiten, die Teilnahme in Präsenz vor Ort oder – wenn es die Mehrheit der Eigentümer beschließt - die zusätzliche Online-Teilnahme im Rahmen einer hybriden Eigentümerversammlung.

Das Bundesministerium der Justiz plant nun die Einführung einer dritten Variante - der reinen Online-Eigentümerversammlung, an der, nach zuvor einstimmig gefasstem Beschluss, nur noch online teilgenommen werden kann. Auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Jan-Marco Luczak heißt es vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Benjamin Strasser, dass nichts dagegensprechen würde. Das sieht Wohnen im Eigentum anders und hat 11 der wichtigsten Argumente gegen die geplante Gesetzesänderung zusammengestellt:

1 Die Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung bedeutet einen Eingriff in das Stimmrecht der Wohnungseigentümer - ein Kernrecht aus dem Wohnungseigentum – dessen Notwendigkeit, Sinn und Nutzen durch das BMJ nicht begründet wird. Es wurde auch keine Evaluation durchgeführt, keine Wirkungsanalyse der neu eingeführten Hybrid-Eigentümerversammlung, keine empirischen Erfahrungen mit dem neuen WEGesetz ausgewertet.

2 Schon jetzt können alle Eigentümer, wenn sie die die Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen mit Mehrheit beschlossen haben, online an der Eigentümerversammlung teilnehmen. Es gibt bei hybriden Eigentümerversammlungen keine Verpflichtung für Eigentümer, vor Ort zu erscheinen. Nur die Verwaltung muss vor Ort sein.

3 Die Möglichkeiten der Stimmrechtsausübung wird unnötig auf eine Variante (online) begrenzt. Die Wohnungseigentümer haben dann keine Wahl mehr, selbst zu entscheiden, ob sie persönlich vor Ort oder online am Bildschirm teilnehmen wollen.

4 Beschlüsse werden durch eine reine Online-Eigentümerversammlung nicht schneller und auch nicht besser gefasst werden. Entscheidend ist vielmehr wie gut die WEG aufgestellt ist, wie gut alle Eigentümer informiert werden und vernetzt sind, ob es eine Diskussionskultur unter den Eigentümern gibt und wie transparent die Verwaltung arbeitet oder sich engagiert.

5 Es besteht die Gefahr, dass ältere und bildungsbenachteiligte Eigentümer, die technisch nicht versiert und nicht ausgestattet sind, ausgegrenzt werden, also nicht mehr persönlich an -Eigentümerversammlungen teilnehmen können.
Bei wichtigen Abstimmungen in der Eigentümerversammlung können sie dann nicht mitdiskutieren und mitbeschließen, die Diskussionen und Entscheidungen zu wichtigen Beschlüssen nicht selbst mitverfolgen, sondern nur per Vollmacht an der Abstimmung teilnehmen.

6 Es besteht die Gefahr, dass Unruhe, Stress und Konflikte in die Gemeinschaft getragen und auftreten werden, zwischen der Verwaltung und den Befürwortern der reinen Online-Versammlung auf der einen Seite und den skeptischen bis ablehnenden Wohnungseigentümern auf der anderen Seite. Dann ist zu befürchten, dass Druck ausgeübt werden wird, um die reine Online-Versammlung durchzusetzen.

7 Rechtsnachfolger sind mitbetroffen, da der Beschluss bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft fortwirkt. Ein Beschluss wie im geplanten Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, gilt beim Verkauf der Immobilie auch für Rechtsnachfolger (Erben, Käufer der Wohnung). Ein so gravierender Eingriff wird vielfach nicht erwartet werden.
Ihn zu kennen setzt Einblick in die Beschlusssammlung voraus. Dieser Einblick erfolgt oft erst nach dem Kauf des Wohnungseigentums.

8 Es ist noch ungeklärt, wie der Beschluss für eine reine Online-Versammlung rückgängig gemacht werden kann, wenn sich die reine Online-Versammlung nicht bewährt. Wird die Gesetzesänderung so gestaltet werden, dass hierfür eine einzige Gegenstimme ausreicht? Auch ist unklar, ob solch ein Beschluss überhaupt angefochten werden kann.

9 Es gibt wichtigeren Änderungsbedarf im WEGesetz. Solche sind z.B. Erleichterungen bei der Selbstverwaltung kleinerer WEGs, Erleichterungen bei der Beschlussfassung zur Installation von Solaranlagen und weiteres zur Umsetzung der Energie- und Klimawende, Klarstellungen bei dem noch verbleibenden Haftungsanspruch einzelner Wohnungseigentümer im Schadensfall gegen die Verwaltung.

10 Die Eilbedürftigkeit der geplanten einzigen Änderung ist nicht nachvollziehbar. Die letzte umfassende Gesetzesreform liegt gerade 1,5 Jahre zurück.

11 Die Wohnungseigentümer*innen müssen sich als Gemeinschaft sehen und immer versuchen, „alle ins Boot“ zu holen. Mit der letzten Gesetzesreform 2020 hat die Eigentümerversammlung als alleiniges und einziges Entscheidungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zentrale Bedeutung und mehr Verantwortung erhalten.

Fazit: Die reine Online-Eigentümerversammlung ist weder notwendig noch wird sie nachvollziehbar begründet. WiE fragt deshalb: Welche 11 Argumente hat das Bundesjustizministerium, um die Gesetzesänderung weiter zu verfolgen?






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