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02.09.2022 Energieeinsparverordnung: Gut gemacht oder nur gut gemeint?

Seit 1. September gilt deutschlandweit die Energieeinsparverordnung des Bundes. Unter anderem sollen öffentliche Gebäude nur noch bis zu 19 Grad warm sein. Prof. Dr.-Ing Viktor Grinewitschus von der EBZ Business School (FH) in Bochum bewertet die Maßnahmen kritisch – und zeigt, wie es besser ginge.

Denkmäler werden nachts nicht mehr angestrahlt, die Außenbeleuchtung von Gebäuden abgeschaltet, Büros dürfen nur noch auf 19 Grad geheizt werden – so sieht es die Energieeinsparverordnung des Bundes vor, die am 1. September in Kraft getreten ist und Bund, Länder und Kommunen in die Pflicht nimmt. Werden so die schlafenden Riesen der Energiewende, die öffentlichen Gebäude, wirklich geweckt?

„Das wird so nicht funktionieren“, ärgert sich Prof. Dr.-Ing Viktor Grinewitschus, der an der der EBZ Business School (FH) in Bochum in den Bereichen technische Gebäudeausrüstung und Energiefragen der Immobilienwirtschaft forscht und lehrt. Er vermisst ein Gesamtkonzept und vor allem die Erfolgskontrolle. Besser als die Vorgabe von Raumtemperaturen wären verpflichtende Einsparziele, die sich auch kontrollieren lassen. In den wenigsten öffentlichen Gebäuden jedoch wird die Raumtemperatur gemessen, und es ist auch keine Technik vorhanden, die es ermöglicht, die Temperatur zuverlässig auf 19 Grad zu beschränken. „Die Vorgabe von Raumtemperaturen ersetzt nicht die Vorgabe eines Einsparziels, insbesondere dann nicht, wenn es gar nicht möglich ist, die Temperatur zu kontrollieren“, stellt Grinewitschus klar.

Für sinnvoller erachtet Grinewitschus ein witterungsbereinigtes Einsparziel von 20 Prozent für den kommenden Winter für jedes Gebäude. „Da jedes Gebäude einen Energiezähler hat, wäre der Nachweis kein Problem“ so der Experte für Energiefragen in der Immobilienwirtschaft.

Nach der aktuellen Gesetzeslage haben öffentliche Gebäude Vorbildcharakter beim Klimaschutz. Nach Art. 5 der Energieeffizienz-Richtlinie (EED) der EU muss sichergestellt werden, dass der Gesamtenergieverbrauch aller öffentlichen Einrichtungen um 1,7 Prozent pro Jahr gesenkt wird. Die aktuelle Situation wirkt dabei wie ein Beschleuniger in Richtung Klimaschutz, täuscht aber darüber hinweg, dass die Realität in öffentlichen Gebäuden viel trister ist:

• Die ältesten Heizungsanlagen der Republik befinden sich in den öffentlichen Gebäuden.
• Es gibt bis heute keine Einsparziele, die den Betreibern verbindlich vorgegeben werden.
• Eine systematische Kontrolle der Betriebsführung, um Einsparpotenziale zu erkennen, findet nicht statt. Die dafür notwendigen Strukturen fehlen in den Gebäuden und auch in der Organisation.
• Last but not least: Es existiert keine flächendeckende, systematische Erfassung und Auswertung der Energieverbräuche öffentlicher Einrichtungen, mit denen sich die Wirkung von Maßnahmen kurzfristig nachweisen lässt.

Die Lösung liegt in der Optimierung der Betriebsführung und in der Kontrolle der Verbräuche. Für schnelle Erfolge schlägt Energie-Experte Grinewitschus vor, sich vor allem die Zeiträume anzusehen, wenn niemand im Gebäude ist.

Denn viele öffentliche Gebäude sind nur zwischen Montag und Freitag für 55 Stunden pro Woche belegt. Dies entspricht rund einem Drittel (33 Prozent) der Zeit. Ein weiteres knappes Drittel (31 Prozent) verbringt das Gebäude im Nachtbetrieb, und das letzte Drittel (36 Prozent) im Wochenendbetrieb.

Öffentliche Gebäude sind in vielen Fällen aber zu 100 Prozent der Zeit beheizt. Wird nun die Raumtemperatur um zwei Grad (von 21° C auf 19° C) gesenkt, lassen sich damit zwölf Prozent Einsparungen erreichen. Dies entspricht nicht annähernd den notwendigen Einsparungen von 20 Prozent, die benötigt werden, um die Abhängigkeit von russischem Gas deutlich zu reduzieren.

Welche Wirkung Maßnahmen außerhalb der Arbeitszeit haben, zeigen die folgenden Berechnungsbeispiele, wobei bei Schritt 1 und 2 die Raumtemperaturen der Büros unverändert bleiben und erst im Schritt 3 abgesenkt werden.

Auch die Einführung von Homeoffice führt zu einem Einspareffekt, jedoch nur, wenn gleichzeitig die Heizung in den nicht benutzten Büros runtergefahren wird. Dass das nicht immer der Fall ist, belegen Messungen in Forschungsprojekten.

Dass es besser geht, hat Grinewitschus im niederrheinischen Hamminkeln bewiesen. Die Kommune hatte im Jahr 2019 öffentlichkeitswirksam den Klimanotstand ausgerufen und sich in der Folge von Prof. Grinewitschus beraten lassen. Das Ziel: Eine möglichst starke Senkung des Gasverbrauchs bei möglichst niedrigen Investitionen. Die Quadratur des Kreises? „Nein“, sagt Grinewitschus, denn: „Die Schlüssel zum Erfolg liegen bei der Anlagenbetriebsführung und beim Nutzerverhalten.“

Das Team von Prof. Grinewitschus ermittelte, dass der tägliche Gasverbrauch im Rathaus an Wochenenden sowie in der Nacht nicht wesentlich geringer war als sonst. Die Heizung lief auch dann, wenn niemand arbeitete. Als erste Maßnahme wurden die Temperaturen außerhalb der Arbeitszeiten abgesenkt und bei einer Außentemperatur von mehr als 15 Grad wurden die Heizungen ganz abgestellt. Hinzu kamen kleine Reparaturen an defekten Ventilen.

Doch das reichte nicht, um wirklich Energie zu sparen. In einem zweiten Schritt wurden die Angestellten motiviert, sich an der Aktion zu beteiligen. Der Bürgermeister erklärte das Sparvorhaben zur „Challenge“. Statt 120 Kilowattstunden Gas pro Grad Temperaturunterschied zwischen außen und innen sollten täglich weniger als 100 Kilowattstunden verbraucht werden. Die Mitarbeiter wurden angehalten, das Thermostatventil beim Verlassen des Büros zu schließen, mit Datenloggern wurden die Temperaturen und die Luftqualität gemessen. Dazu gab es Tipps zum korrekten Lüften und Heizen. „Ein gekipptes Fenster kann den Verbrauch in einem Büro um bis zu 600 Prozent erhöhen“, mahnt Grinewitschus. In einem Newsletter informierte der Bürgermeister täglich über den aktuellen Gasverbrauch. Immerhin: Mehr als Zwei Drittel der Beschäftigten im Rathaus änderten ihr Heiz- und Lüftungsverhalten.

Das Projekt hatte Erfolg, der Gasverbrauch wurde um 45 Prozent gesenkt. Was am Rathaus Hamminkeln im kleinen Maßstab funktioniert habe, ist auch in großen Kommunen möglich.

Die wichtigste Stellschraube beim richtigen Energiemanagement ist dabei die Qualifizierung der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – oder im Zweifel überhaupt erst die Schaffung einer Stelle. „In unserem Bildungszentrum bieten wir die entsprechenden Bildungsgänge an“, erklärt Klaus Leuchtmann, Vorstand des Europäischen Bildungszentrums der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ)‚ und nennt etwa die berufsbegleitende Weiterbildung „Klima-/Energie- und Nachhaltigkeitsmanagement“ an der EBZ Akademie. Für Abiturientinnen und Abiturienten gibt es den Bachelor-Studiengang „Nachhaltiges Energie- und Immobilienmanagement“ sowie das speziell auf die Bedürfnisse von Städten und Gemeinden zugeschnittene Bachelor-Studium „Kommunales Immobilienmanagement“. „Es gibt so viele Maßnahmen, mit denen vor allem die Kommunen wirklich viel Energie sparen könnten“, so Grinewitschus. Doch fehle in den Stadtverwaltungen oftmals der Überblick und die notwendige Kompetenz.






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