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09.11.2015 Flüchtlingsstrom: Kommunen müssen massiv in Immobilien investieren

Deutschlands Kommunen rechnen damit, im laufenden Jahr insgesamt knapp 870.000 Flüchtlinge aufzunehmen – allein im Zeitraum Oktober bis Dezember werden gut 380.000 Personen erwartet. Die damit verbundenen Herausforderungen sind enorm: Derzeit stehen nur Kapazitäten für die Unterbringung von knapp 500.000 Menschen zur Verfügung – etwa 370.000 Plätze fehlen also.

Insgesamt sind derzeit hochgerechnet 185.000 Flüchtlinge in Wohngebäuden untergebracht – die Zahl soll bis Jahresende auf etwa 340.000 steigen. In zuletzt ungenutzten Liegenschaften wie ehemaligen Schulen oder Kasernen finden derzeit gut 100.000 Personen eine vorläufige Bleibe (bis Jahresende: 150.000), in Wohncontainern und in bislang leer stehenden Wohngebäuden sind derzeit 56.000 bzw. 60.000 Menschen untergebracht (bis Jahresende 106.000 bzw. 100.000).

Auch in den kommenden Jahren wird die Mehrheit der Kommunen (73 Prozent) vor allem darauf setzen, Flüchtlinge in bereits vorhandenen Wohngebäuden unterzubringen. Immerhin gut jede dritte Kommune (36 Prozent) plant aber auch den Neubau von Wohngebäuden zur Flüchtlingsunterbringung.

Auf die hohen Kosten, die durch die Aufnahme, Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge entstehen, reagieren die Verantwortlichen in den Kommunen unter anderem mit Einsparungen an anderer Stelle (35 Prozent der Kommunen) und der Verschiebung von Investitionen (31 Prozent). Unmittelbar zu spüren bekommen aber wohl nur wenige Bürger den gestiegenen Finanzbedarf ihrer Kommune: 85 Prozent der Kommunen planen keinerlei Steuer- oder Gebührenerhöhungen, um die Kosten der Flüchtlingsunterbringung zu finanzieren.

Die Verschuldung der deutschen Städte und Gemeinden dürfte vor dem Hintergrund dieser Herausforderung steigen. Gut jede vierte Kommune rechnet damit, im laufenden Jahr zusätzliche Schulden machen zu müssen – in den westdeutschen Ländern sogar fast jede dritte. Hochgerechnet gehen die Städte und Gemeinden von zusätzlichen Schulden noch in diesem Jahr in Höhe von 1,1 Milliarden Euro aus – bei einem Schuldenstand aller Kommunen (zum 30.12.2014) von 139,4 Milliarden Euro.

Für das kommende Jahr rechnen sogar 40 Prozent der Städte und Gemeinden mit zusätzlichen Schulden – hochgerechnet soll die Verschuldung um weitere 1,2 Milliarden Euro steigen.

Das sind Ergebnisse der aktuellen Studie „Flüchtlingszustrom: Herausforderungen für deutsche Kommunen“ der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Basis der Studie ist eine repräsentative Befragung von 300 deutschen Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern , die im Oktober 2015 durchgeführt wurde.

„Derzeit wird in vielen Kommunen in erster Linie improvisiert“, beobachtet Hans-Peter Busson, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector für Deutschland, die Schweiz und Österreich. „Da niemand auf die hohen Zahlen an eintreffenden Flüchtlingen vorbereitet war, geht es zunächst einmal nur darum, möglichst vielen Menschen eine winterfeste Unterkunft bereitzustellen. Eine mittel- oder gar langfristige Planung findet in den Kommunen noch kaum statt – schon allein deshalb, weil unklar ist, wie sich die Flüchtlingszahlen in den kommenden Monaten entwickeln werden.“

Mangel an Wohnraum größte Herausforderung

Hauptsorge der befragten Kommunen ist derzeit der Mangel an geeigneten Räumlichkeiten, den 76 Prozent als besonders großes Problem bezeichnen. Das Fehlen belastbarer Zahlen zu den noch zu erwartenden Personen, die untergebracht werden müssen, wird an zweiter Stelle genannt (62 Prozent). Mit fehlenden Personalressourcen in der Verwaltung kämpfen aktuell 40 Prozent der Kommunen.

„Fest steht, dass in den kommenden Monaten erheblich in die Bereitstellung zusätzlichen Wohnraums investiert werden muss – trotz des vielerorts hohen Leerstandes“, betont Dietmar Fischer, Partner bei EY Real Estate. „Der Zustrom nach Deutschland wird auch im kommenden Jahr aller Voraussicht nach anhalten – darauf ist der deutsche Wohnungsmarkt nicht vorbereitet. Gerade in den Großstädten ist der Wohnungsmarkt vielfach schon angespannt – dort wird es zukünftig noch schwerer, auf die steigende Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum mit einem entsprechenden Angebot reagieren zu können. Die Städte und Gemeinden müssen also rasch handeln.“

Angesichts des Zeitdrucks und des Fehlens belastbarer Prognosen sieht Fischer allerdings ein erhebliches Risiko, dass es zu Fehlallokationen der investierten Mittel kommt: „Obwohl die Zeit drängt, müssen die Kommunen zunächst eine gründliche Bedarfsanalyse durchführen, den Bestand an Liegenschaften und Freiflächen sichten und bewerten, inwiefern es – auch langfristig – sinnvoll ist, dort neuen Wohnraum zu errichten. Zunächst gehe es darum, welche stillgelegten Objekte umgerüstet werden können. Derartige Überlegungen sind in den betroffenen Kommunen inzwischen in vollem Gang, wobei insbesondere sogenannte Konversionsflächen – ehemals öffentlich genutzte Liegenschaften wie Kasernen oder Flughäfen – im Fokus stehen.“

Die Nutzung leer stehenden Wohnraums und die Umnutzung etwa gewerblicher Bauten oder stillgelegter Objekte sei zumeist der kostengünstigste Weg – könne in vielen Kommunen aber nicht den gesamten Bedarf abdecken. „Gerade in wirtschaftsstarken Ballungszentren, die auch auf viele Flüchtlinge eine hohe Anziehungskraft haben, wird es nötig sein, relativ bald zu einer weiter in die Zukunft reichenden Planung überzugehen und dabei auch städtebauliche Aspekte mit einzubeziehen. Damit kann auch die Chance verbunden sein, den lange Zeit brachliegenden sozialen Wohnungsbau neu zu beleben.“

Langfristige Folgekosten – und Chancen

Neben der Bereitstellung zusätzlichen Wohnraums vielerorts muss zudem relativ zügig auch die kommunale Infrastruktur angepasst werden – etwa im Bereich Kitas und Schulen. „Für die Flüchtlingskinder werden zusätzliche Lehrer und Erzieher benötigt, zum Teil müssen auch die bestehenden Räumlichkeiten erweitert werden“, erwartet Busson. „Was in der Gesamtbetrachtung aber auch zu berücksichtigen ist: Regional wird durch den Zuzug zahlreicher Neubürger die Nachfrage spürbar gestärkt, und gerade für das Handwerk und die regionale Bauwirtschaft wird es kräftige Impulse geben. Insofern wird den erheblichen Kosten, die die Kommunen – gemeinsam mit dem Bund – zu tragen haben, auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüberstehen.“

Die Mehrheit der Bürger begleitet die Anstrengungen der Kommunen, Wohnraum für die zahlreichen Neubürger zu finden, offenbar konstruktiv, zeigt die Befragung: Einwände betroffener Bürger stellen nur in 13 Prozent der Städte ein Problem dar. „In den meisten Kommunen ist das Verhältnis zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen gut“, betont Busson. „Tatsächlich können die aktuellen Herausforderungen in vielen Kommunen sogar nur dank des großen ehrenamtlichen Einsatzes der Bürger bewältigt werden.“




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