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05.03.2018 Erneuerbare Energien: Flickschusterei statt langfristiger Strategie

Die SPD-Basis hat über den Eintritt in eine Große Koalition abgestimmt. Gestern, am 4. März 2018, wurde das Ergebnis bekannt gegeben: 66 Prozent der Sozialdemokraten sprachen sich für eine Neuauflage der GroKo aus. Für Akteure der Erneuerbare-Energien-Branche lohnt nun ein Blick in den Entwurf des Koalitionsvertrages.

Darin bekennen sich die Unionsparteien CDU/CSU und die SPD klar zu den Zielen der Energiewende und streben an, den Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 36 Prozent im Jahr 2017 auf 65 Prozent bis 2030 zu erhöhen. Zum Vergleich: 1990 bestand der Strommix zu gerade einmal drei Prozent aus regenerativen Energien. Das bedeutet, eine Steigerung von rund 30 Prozent, für die es in der Vergangenheit fast drei Jahrzehnte gebraucht hat, soll jetzt in weniger als 15 Jahren realisiert werden. Ein ambitioniertes, aber realistisches Ziel – vorausgesetzt, die Politik verfolgt eine klare Strategie. Doch ein detaillierter Maßnahmenplan und gezielte Investitionsanreize fehlen im aktuellen Koalitionsvertrag.

Investitionsstandort Deutschland (kurzfristig) wieder attraktiver

Begrüßenswert sind die geplanten Sonderausschreibungen in den Jahren 2019 und 2020 von jeweils 2.000 MW zusätzlicher Windkraft-Erzeugungskapazität. Ursprünglich sollten 2019 nur 2.800 MW und 2020 nur 2.900 MW ausgeschrieben werden. Im Koalitionsvertrag wurde das ursprüngliche Zubauziel also um 70 Prozent auf 9.700 MW nach oben korrigiert. Nachdem sich viele Investoren, darunter auch die re:cap, aufgrund der Auswirkungen des EEG 2017 in den vergangenen Monaten verstärkt im europäischen Ausland nach attraktiven Projekten umgeschaut haben, könnte es durch den erhöhten Zubau zumindest in den Jahren 2018 bis 2020 wieder einige interessante Projekte in Deutschland geben.

Die Vorgabe, dass zukünftig nur noch bundesimmissionsschutzrechtlich genehmigte Projekte an Ausschreibungen teilnehmen dürfen, ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Damit wird eine Ausnahmeregelung für Bürgerenergiegesellschaften rückgängig gemacht, die maßgeblich dafür verantwortlich war, dass in den Ausschreibungsrunden 2017 mehr als 90 Prozent der bezuschlagten Gebote an Bürgerenergieprojekte gingen. Die Befreiung von der BImSch-Pflicht wurde für die erste Onshore-Ausschreibung 2018 bereits ausgesetzt und die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Bei nur 23 Prozent der bezuschlagten Gebote handelte es sich um Bürgerenergie und der durchschnittliche Zuschlagswert stieg von 3,8 ct/kWh auf 4,7 ct/kWh. Wir rechnen deshalb damit, dass es in Zukunft auf dem deutschen Windmarkt wieder mehr Anlagemöglichkeiten für professionelle Investoren geben wird. Auch die Realisierungsquote von Projekten dürfte sich durch die neue Regelung unmittelbar erhöhen, da die Genehmigungshürde bei Gebotsabgabe bereits genommen wurde.

Aktionismus und Lobbyarbeit statt konkreter Maßnahmen und Planungssicherheit
Grundsätzlich fehlt der zukünftigen Regierung jedoch eine konkrete Strategie, wie der 65-Prozent-Anteil an Erneuerbaren Energien in dieser relativ kurzen Zeit erreicht werden soll. Die geplanten Sonderausschreibungen sind zwar ein wichtiger Schritt. Sie sind allerdings kein Bestandteil eines durchdachten Maßnahmenplans, sondern das Ergebnis der Bemühungen einzelner Lobbygruppen. Auch die Aufhebung der Ausnahmeregelungen für Bürgerenergie ist weniger Teil einer großen Vision, als eine akute Reaktion auf offensichtliche Fehlentwicklungen. Betrachtet man den Koalitionsvertrag, betreibt die neue Regierung eher Flickschusterei, als die Energiewende aktiv und nachhaltig zu gestalten. Im aktuellen Entwurf fehlen vor allem diese drei Aspekte:

• Detaillierte und verbindliche jährliche Ausbauziele für alle regenerativen Erzeugungsarten: Während im Onshore-Bereich Extra-Ausschreibungen von insgesamt 4.000 MW geplant sind und auch Photovoltaik mit einer zusätzlichen Kapazität von ebenfalls 4.000 MW gefördert werden soll, werden zur Höhe des geplanten Offshore-Windenergiebeitrags keine Angaben gemacht.
• Konkrete Vorhaben, um den Netzausbau voranzutreiben: Der Koalitionsvertrag spricht lediglich davon, „Anstrengungen“ zum Ausbau und zur Modernisierung der Energienetze zu unternehmen und dafür einen „ambitionierten Maßnahmenplan“ zu erarbeiten. Hier muss zügig gehandelt werden, denn die Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Netze ist Voraussetzung für den geplanten Zubau.
• Eine umfassende Strategie, die Schwankungsanfälligkeit des Stromnetzes durch Wind- und Sonnenergie zu reduzieren: Dafür braucht es vor allem Investitionen in Speichertechnologien. Die geplante Einrichtung eines Fraunhofer-Instituts ist nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Zudem wird im Vertragsentwurf nicht einmal eine ungefähre Höhe der angedachten Förder- und Forschungsmittel für Speicherkapazitäten genannt.

Wenn die Große Koalition ihre ambitionierten Ziele tatsächlich erreichen möchte, muss enorm in die regenerative Erzeugungskapazität und in Speichertechnologien investiert werden. Voraussetzung dafür ist jedoch ein stabiles und berechenbares Investitionsumfeld. Dies kann die aktuelle reaktive und von Aktionismus geprägte Politik jedoch nicht bieten. Die Energiewende ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, und alle Akteure der Branche brauchen jetzt langfristige Planungssicherheit, damit die Energie- und Klimaziele in den nächsten Jahren erreicht werden. Die neue Regierung hat die Chance, die Weichen entsprechend zu stellen. Dafür müsste der neue Bundeswirtschaftsminister aber noch konkrete Vorschläge erarbeiten.






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