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13.03.2020 Whatever it takes 2.0? Der Kampf der Notenbanken gegen Corona

Hamsterkäufe in den Supermärkten, Chaos an den Börsen: Die Auswirkungen des Coronavirus sind bereits jetzt extrem. Vor allem der noch ungewisse weitere Verlauf der Pandemie schürt Unsicherheit. Die Vereinten Nationen (UN) und die OECD warnen vor einer globalen Rezession. In der EU sei ein Rückgang der Wirtschaftsleistung sogar so gut wie sicher. Wie lange uns das Coronavirus tatsächlich begleiten wird und wie groß die Gefahren für die Wirtschaft sind, ist allerdings unklar. Auch die Gefährlichkeit des Erregers lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Laut Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender der Dr. Klein Privatkunden AG, ist aktuell keine valide Prognose zum weiteren Verlauf möglich: „In China gehen die Infektionszahlen gerade erheblich zurück und die Industrieproduktion scheint wieder hochzufahren. Es bleibt aber abzuwarten, ob sich diese Entwicklung verstetigt und ob der Verlauf in anderen Ländern ähnlich sein wird.“

Eines ist allerdings jetzt schon sicher: Die Unsicherheit, die das neue Virus in der Bevölkerung und damit auch auf den Aktienmärkten verbreitet, ist deutlich spürbar – und die kurzfristigen Folgen für die Weltwirtschaft sind gravierend. Der Beginn dieser Woche geht als einer der „Schwarzen Montage“ in die Geschichte ein: Der deutsche Aktienindex Dax verlor 7,94 Prozent, der größte Tagesverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. An der Wall Street in New York wurde der Aktienhandel am Montag sogar für 15 Minuten komplett ausgesetzt, nachdem die Kurse auch hier extrem gefallen waren. Der Leitindex der Eurozone (Euro Stoxx 50) sackte gar um 8,3 Prozent ab. „Die Anleger fürchten die ungewissen Risiken durch das Coronavirus und flüchten sich aktuell in Anlagen, die als 'sichere Häfen' gelten. Dazu zählen unter anderem die deutsche Bundesanleihe, der Euro oder Gold“, kommentiert Michael Neumann die Situation.

Handeln ohne Hysterie: Maßnahmen gegen die Corona-Krise

Politik und Notenbanken müssen derweil einen schwierigen Spagat schaffen: Einerseits ist es unerlässlich, dass sie entschlossen handeln und ihre Bereitschaft signalisieren, die Wirtschaft zu unterstützen. Andererseits gilt es, Alarmismus und überstürztes Handeln zu vermeiden, um die Märkte nicht noch weiter zu verunsichern. Die amerikanische Notenbank senkte ihren Leitzins bereits vergangene Woche in einer nicht unumstrittenen außerturnusmäßigen Aktion. Die Senkung um einen halben Prozentpunkt war die größte seit der Finanzkrise 2008. Viele Investoren rechnen zudem mit einem weiteren Zinsschritt auf der regulären geldpolitischen Sitzung in der kommenden Woche. Auch die Bank of England senkte ihren Leitzins außerhalb der turnusmäßigen Sitzungen von 0,75 auf 0,25 Prozent und erklärte die Bereitschaft zu weiteren Maßnahmen.

In der Eurozone hingegen liegt der Leitzins seit Jahren bei null. Trotzdem mussten auch die europäischen Notenbänker auf der heutigen Sitzung handeln: „Nachdem alle wesentlichen Notenbanken weltweit bereits reagiert hatten, war die Erwartung an die EZB hoch, eine spürbare Reaktion zu zeigen. Der Kursverfall an den weltweiten Börsen in den letzten zwei Wochen erhöhte den Druck zusätzlich.“ Genau das tat die EZB und drehte weiter an den bekannten Schrauben: Die Langfristkredite für Banken (TLTROs) werden weiter aufgestockt und ihre Konditionen verbessert. Außerdem wird das Anleihekaufprogramm ausgeweitet: Bis zum Jahresende sollen bis zu 120 Milliarden Euro zusätzlich in Anleihekäufe investiert werden. Leitzins und Einlagezins bleiben dagegen unverändert bei null bzw. -0,5 Prozent. „Die Optionen der EZB sind limitiert, da sie im Gegensatz zur Fed in den letzten Jahren nicht vom Krisenmodus in den Normalmodus zurückgeschaltet hat“, erklärt Michael Neumann. „Ihr bleibt letztlich nur ein „Mehr-von-allem“ oder neue, bisher noch nicht angewendete Maßnahmen wie beispielsweise das Helikoptergeld. Solche Maßnahmen wird die EZB aber vorerst noch nicht aus dem Hut zaubern. Dafür lassen sich die Auswirkungen des Virus auf die konjunkturelle Entwicklung noch zu schwer abschätzen.“

Ob die aktuell getroffenen Maßnahmen die Finanzmärkte tatsächlich beruhigen werden, ist jedoch fraglich. Selbst eine weitere Senkung des Einlage- oder Leitzinses würde laut Michael Neumann kaum Wirkung zeigen. Er sieht die Verantwortung stattdessen bei der Politik: „Die EZB hat der Politik in den letzten Jahren viel Zeit erkauft, um strukturelle Reformen anzugehen. Die Zeit wurde von den meisten Ländern nicht ausreichend genutzt. Jetzt sind vor allem die Eurostaaten gefragt, dringend notwendige Investitionen zu tätigen und sich mit Konjunkturprogrammen gegen eine Krise zu stemmen.“

Coronavirus in Deutschland: Ende der schwarzen Null?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) befürchtet genau wie die Vereinten Nationen, dass Deutschland in eine Rezession abgleiten wird. Claus Michelsen vom DIW erklärte jüngst, dass das Coronavirus die deutsche Wirtschaft recht kräftig zu erfassen scheine. „Es braucht politische Maßnahmen und eine Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, um kurzfristige Liquiditätsengpässe bei gesunden Unternehmen zu überbrücken und das hohe Beschäftigungsniveau zu erhalten“, meint daher Michael Neumann. Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung reichen seiner Meinung nach nicht aus: „Das, was die Koalition am Montag angekündigt hat, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es wurden vor allem ohnehin beschlossene Maßnahmen vorgezogen. Sollten sich die Konjunkturprognosen weiter verschlechtern, wird der Druck auf die Bundesregierung zunehmen, die ‚schwarze Null‘ über Bord zu werfen.“

Ausnahmezustand bei Bauzinsen und Bundesanleihen

Die extreme Verunsicherung der Finanzmärkte lässt sich besonders gut an der Entwicklung der zehnjährigen Bundesanleihe ablesen: Zwischenzeitlich fiel ihre Rendite auf den nie dagewesenen Tiefstand von -0,86 Prozent. Der Bestzins für eine Baufinanzierung mit zehnjähriger Zinsbindung liegt weiterhin bei 0,41 Prozent. „Ich erwarte aufgrund der extremen Verunsicherung des Marktes weiterhin eine sehr hohe Volatilität“, so die Prognose Neumanns. „Kurzfristig sind auch technische Gegenreaktionen möglich, also sprunghafte Zinsanstiege, die aber nicht zu einem nachhaltig höheren Zinsniveau führen werden. Insgesamt gehe ich davon aus, dass das Zinsniveau kurzfristig unter sehr hohen Schwankungen extrem niedrig bleiben wird.“

Tendenz

Kurzfristig: eingeschränktes Aufwärtspotenzial
Mittelfristig: schwankend seitwärts









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