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18.03.2020 Wie wird die Weltwirtschaft auf eine Abschottung reagieren?

Die Coronavirus-Epidemie hat die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte in bislang unbekanntes Terrain geführt. Die erste Folge dieser mangelnden Visibilität ist die Erkenntnis, dass wir im Moment nicht wissen, wie sich die Situation entwickeln wird. Zweitens: Am besten gehen wir mit diesen Unbekannten um, indem wir unsere Portfolios risikoärmer gestalten. Diese zwei Faktoren, Unsicherheit und Desinvestition, erklären, warum letzte Woche eine der schlimmsten war, die die Finanzmärkte je erlebt haben, wie das Niveau des VIX (75) zeigt, das seit Oktober 2008 nicht mehr erreicht wurde. Unserer Ansicht nach stellt diese Krise drei Herausforderungen dar: wirtschaftliche, politische und geopolitische. Sollten wir mit der Rückkehr der Grenzen wieder schwarz sehen?

WHAT’S NEXT?
Digitale, vernetzte und sofortige Krise

Im Allgemeinen sind makroökonomische Rezession, Marktkorrektur und systemisches Liquiditätsrisiko unterschiedlich, zeitlich und in ihrem kausalen Zusammenhang getrennt. Der aktuelle Kontext ist außergewöhnlich, da diese drei Phasen gleichzeitig auftreten und in größerem Umfang als in früheren Episoden interagieren. Die Krise von 2020 unterscheidet sich daher von den vielen wirtschaftlichen und finanziellen Schocks, die wir seit den 1990er Jahren erlebt haben. Erstens unterliegt die Weltwirtschaft derzeit einem exogenen Schock, den niemand kontrollieren kann, im Gegensatz zu den Angebots- oder Nachfrageschocks, die in der Vergangenheit Rezessionen auslösten. Zweitens ist die Munition, die zur Verfügung steht, um der Epidemie und ihren negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft entgegenzuwirken, begrenzter als in der Vergangenheit, da die Zinsen bereits niedrig sind, die Bilanzen der Zentralbanken bereits verwendet werden und die Staatsschuldenquoten ohnehin schon hoch sind. Drittens könnte sich die Verschuldung in der Wirtschaft nach Jahren akkommodierender Geldpolitik, die die realisierte Volatilität von Finanzanlagen und makroökonomischen Variablen auf ein extrem niedriges Niveau brachte, als viel höher als 2008 erweisen. Und schließlich war die Weltwirtschaft noch nie so stark verflochten und vernetzt wie heute. Diese Situation hat zwei Auswirkungen: Sie verschärft das Ausmaß von Krisen und begrenzt die Auswirkungen von isolierten Entscheidungen.

Wirtschaftlicher Schock wird größer sein als erwartet

In wirtschaftlicher Hinsicht gilt: Je länger die Epidemie andauert, desto umfangreicher sind die Eindämmungsmaßnahmen und desto rezessiver wird der Schock sein. Bislang ist der Konsens, dass der Schock zwar gewaltig, aber vorübergehend sein wird. Die Auswirkungen könnten zwei Quartale wirtschaftlicher Schrumpfung mit einem Rückgang des BIP zwischen 2% und 3%, je nach Gebiet, sein. Diese Schätzungen basieren auf der Annahme, dass zur Bekämpfung des exponentiellen Anstiegs der Virusausbreitung nur wenige Wochen an Quarantäne erforderlich sind und die Rückkehr zur Normalität schnell und effizient erreicht wird.

Historisch gesehen war ein solches Problem auf ein Gebiet oder ein Land beschränkt und breitete sich dann entsprechend seinem Gewicht in der Weltwirtschaft aus. So waren während der letzten Wirtschaftskrise von 2008 die Schwellenländer weniger betroffen, weil sie weniger mit den amerikanischen Immobilienmärkten verbunden waren und weil die jeweiligen Finanzsysteme weniger integriert waren. Der vorliegende Fall ist jedoch beispiellos, da die deutliche Verlangsamung der Aktivität weltweit und gleichzeitig aufgrund der in den wichtigsten Ländern angewandten Sperr- und Quarantänemaßnahmen stattfindet. Diese unmittelbare, globale und vernetzte Natur der gegenwärtigen Situation gleicht eher einer Kriegssituation mit auf ein Minimum beschränkter Aktivität als einer normalen wirtschaftlichen Verlangsamung, wie wir ihn in der Vergangenheit erlebt haben. Aber anders als in Kriegszeiten oder nach einem Klimaereignis vom Typ Katarina (2005, das 0,7% des BIP kostete) wird es nach der Quarantänezeit keinen Wiederaufbauprozess geben, der die Wirtschaftstätigkeit wieder ankurbelt.

Darüber hinaus wird die Verschärfung der finanziellen Bedingungen aufgrund des Anstiegs der Credit Spreads und der Volatilität die negativen Auswirkungen noch verstärken. Unsere Schätzungen, die auf der Annahme einer vier- bis sechswöchigen Abschottung in Europa und den USA beruhen, führen zu einem Wachstum von -1% in Europa und 0% in den USA im Jahr 2020. Angesichts des niedrigen Wachstums, das vor der Covid-19-Krise beobachtet wurde, würde jeder negative Schock die Weltwirtschaft in eine schwierige Situation stürzen und alle zugrunde liegenden Schwächen offenbaren. Wie Eichengreen in mehreren seiner Analysen zu Krisen in Schwellenländern betonte, sind die negativen Auswirkungen umso größer, je schwächer das Land in Bezug auf die finanzielle Stabilität, die Außenbilanz und die makroökonomischen Fundamentaldaten ist. Obwohl die Märkte in der vergangenen Woche begonnen haben, die Ausweitung der Spreads bei Staatsanleihen, vor allem in der europäischen Peripherie, widerzuspiegeln, sind wir weit von den Niveaus der Vorperiode entfernt. Zur Veranschaulichung: Das Liquiditätsrisiko ist mit dem Sprung der Interbank-Spreads gestiegen, liegt aber immer noch unter dem Niveau von 2011.

Ein eingeschränkter Policy-Mix?

Die Reaktion der Zentralbanken und Regierungen war beträchtlich. In der Tat haben die meisten Zentralbanken in den vergangenen zwei Wochen ihre Zinssätze gesenkt, die quantitative Lockerung reaktiviert und die Finanzierung zwischen den Banken unterstützt. Zwar verfügen einige Zentralbanken noch immer über Munition, um ihre Bilanz breiter zu nutzen, indem sie wie 2008 auf bestimmte Vermögenswerte abzielen, doch scheinen die im Jahr 2020 verfügbaren Ressourcen begrenzter und ihre Wirksamkeit könnte geringer sein. So haben diese Maßnahmen zum ersten Mal seit ihrer Einführung nicht dazu beigetragen, das Misstrauen der Finanzmärkte einzudämmen. Die Aktienmärkte sind trotz der jüngsten Maßnahmen der FED und der EZB in ähnlicher Größenordnung wie 2008 gefallen.

Die Situation scheint auf der fiskalpolitischen Seite noch restriktiver zu sein, da die Höhe der Schulden und Defizite bereits extrem hoch ist. Die Reaktion des Anleihenmarktes auf die verschiedenen Ankündigungen von Konjunkturprogrammen verdeutlicht die Gefahr, dass das Kreditrisiko bald wieder auftauchen könnte. Die französischen und deutschen 10-Jahres-Zinssätze stiegen in der vergangenen Woche um 30 bzw. 15 Basispunkte, während der Eurostoxx 600 in diesem Zeitraum 13% verlor. Solche Korrelationen haben wir seit der Finanzkrise der Peripherieländer im Jahr 2011 nicht mehr beobachtet.

Grenzen vs. Koordination

Die heutige Weltwirtschaft ist auf einer Globalisierung aufgebaut, die auf der Mobilität von Kapital, Arbeit und – im digitalen Zeitalter – Daten beruht. Der technologische Fortschritt hat diese Mobilität immer stärker beschleunigt. Die gegenwärtige Krise könnte diese grundlegenden Elemente in Frage stellen. Die Risiken in den Lieferketten wurde unterschätzt, ebenso wie ihre Folgen in Form eines möglichen Dominoeffekts. Die Ironie der aktuellen Situation besteht darin, dass China, der Ursprung der Krise, die Situation in den kommenden Wochen stabilisieren könnte. Aber in einer Welt geschlossener Volkswirtschaften wird die erwartete Erholung wahrscheinlich schwächer ausfallen als erwartet und eine neue Form des Dominoeffekts hervorrufen. Infolgedessen könnten die Rückkehr der Grenzen und die Verringerung der Mobilität geopolitische Auswirkungen haben, die noch unbekannt sind und zu einem neuen Wachstumsmodell führen, das weniger integriert, weniger global und weniger voneinander abhängig ist.

Bei jeder größeren Veränderung, wie Schumpeter betonte, erzeugt kreative Zerstörung Gewinner und Verlierer. Länder, Sektoren und Anlagen, die mit dem Welthandel verbunden sind, könnten in Zukunft in Frage gestellt werden. Der derzeitige Ölpreiskrieg zwischen den Förderländern ist ein perfektes Beispiel dafür, wie eine mögliche Änderung des Wachstumsmodells zu erheblichen geopolitischen Spannungen führen könnte. Darüber hinaus wären Quarantänemaßnahmen, sollten sie verschärft werden, eine echte Herausforderung für die Demokratien. Wie bereit ist die westliche Welt, diese individuellen Freiheiten aufzugeben, um die soziale Stabilität zu erhalten? Auch hier könnten die Erwartungen enttäuscht werden, da das Krisenmanagement in China und Südkorea als Beispiel für die Vorhersage der Länge und des Ausmaßes der Krise herangezogen wird.

Allokation: Globales De-Risking

In einem solchen Umfeld totaler Unsicherheit und extremer Volatilität hat sich unsere Positionierung seit Ende Februar erheblich verändert. Wir erwarten nun, dass die Unsicherheit in Bezug auf die Covid-19-Situation noch einige Zeit bestehen bleibt und die Weltwirtschaft in eine Rezession führen wird. Aus diesem Grund haben wir in unserem Portfolio eine defensive Haltung eingenommen, um unsere Beteiligung nach unten zu begrenzen, falls die Märkte weiter zurückgehen. Wie bereits 2008 beobachtet, könnten risikoreiche Anlagen durch Ankündigungen der G7 oder der Zentralbanken deutlich steigen. Tatsächlich stieg der S&P500 im Oktober 2008 nach den Maßnahmen der Fed (Einführung des TARP) um 13%. Danach fiel der Markt jedoch um 30% und erreichte 4 Monate später seinen Tiefpunkt.

Unserer Ansicht nach ist das De-Risking, das in der Regel mit liquiden Mitteln beginnt und dann mit weniger liquiden Mitteln fortgesetzt wird, noch nicht beendet. Analysten erwarten weiterhin ein positives Gewinnwachstum an den Aktienmärkten, das allerdings erheblich abwärts in den negativen Bereich revidiert werden sollte. Das KGV ist auf historischer Basis immer noch hoch und wird im Einklang mit früheren Rezessionsphasen sinken. Noch wichtiger ist, dass bisher keine Makrodaten für die entwickelten Volkswirtschaften, die in diese schnelllebige Situation verwickelt sind, veröffentlicht wurden. Das Verbrauchervertrauen in den USA, das am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde, ist ebenso gestiegen wie die Zahl für den US-Arbeitsmarkt im Februar. Die Schwäche der makroökonomischen Daten dürfte sich in zwei Wochen in den ISM- und PMI-Indizes bemerkbar machen, und wir wissen alle, in welche Richtung die Änderung gehen wird. Was könnte verhindern, dass dieses Szenario andauert? Hat jemand "Global Helicopter Money" gesagt?

(Quelle: Marktanalyse von Unigestion by Guilhem Savry, Head of Macro and Dynamic Allocation im Cross-Asset-Team)







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